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Französische Bischöfe sind Papst Benedikt zutiefst dankbar

Benedikt XVI. erkannte die Tiefe des Leidens der Opfer und machte sie uns bewusst, schreibt der Bischof von Nîmes, im Süden Frankreichs, in einem Beitrag für „Die Tagespost“.
Bischof Nicolas Brouwet
Foto: Bistum Nîmes | Benedikts Reden und Gesten während seines Pontifikats zeugen von seiner Entschlossenheit, die Wahrheit über den sexuellen Missbrauch in der Kirche herauszufinden, meint Bischof Brouwet.

Uns in Frankreich fällt es dieser Tage schwer zu verstehen, warum Papst Benedikt XVI. wegen seines Umgangs mit der Pädo-Kriminalität in der Kirche angeklagt wird. Er war es doch, der angesichts der Enthüllungen über sexuellen Missbrauch gleich zu Beginn seines Pontifikats das eingeführt hatte, was Kommentatoren sehr schnell als „Nulltoleranz“ für diese von Geistlichen begangenen Verbrechen bezeichnet haben.

Wir erinnern uns an die Meditation von Kardinal Joseph Ratzinger auf dem Kreuzweg zum Kolosseum am 24. März 2005: „Das verschmutzte Gewand und Gesicht deiner Kirche erschüttert uns. Aber wir selber sind es doch, die sie verschmutzen. Wir selber verraten dich immer wieder nach allen großen Worten und Gebärden.“ Er bezog sich hier insbesondere auf die Skandale um sexuellen Missbrauch, von denen er seit seinem Amt als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre Kenntnis hatte.

Der Papst hat mit den Missbrauchsopfern geweint

Unmittelbar nach seiner Wahl zum Papst hat er Marcial Maciel, den Gründer der Legionäre Christi, von allen Aufgaben entbunden und ihm ein Leben des Gebets und der Buße verordnet. Im April und Juli 2008 traf er sich mit Missbrauchsopfern in den USA und Australien, ebenso im März 2010 in Irland und im April 2010 auf Malta. „Der Papst hat mit uns geweint“, sagte Lawrence Grech, ein Betroffener sexuellen Missbrauchs durch einen Priester, nach seinem Treffen mit dem damaligen Heiligen Vater auf Malta.

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Seine zahlreichen Reden und Gesten während seines Pontifikats zeugen von seiner Entschlossenheit, die Wahrheit über den sexuellen Missbrauch in der Kirche herauszufinden. Den Betroffenen wollte er zeigen, wie die Kirche ihre Verantwortung in diesem Drama wahrnehmen wollte. Wir erinnern uns an den Brief, der im März 2010 in allen irischen Kirchengemeinden verlesen wurde. Der Papst sprach die schweren Fehlurteile an, die die irischen Bischöfe begangen hatten, und erklärte, wie es nicht klarer hätte sein können, dass die Urheber dieses Missbrauchs sich vor der Ziviljustiz genauso verantworten müssten wie vor Gott.

Am 15. April 2008 sagte Benedikt XVI. vor Journalisten im Flugzeug auf dem Weg in die USA: „Wenn ich die Geschichte dieser Vorkommnisse betrachte, fällt es mir schwer, zu verstehen, wie Priester so sehr in ihrer Sendung versagen konnten, diesen Kindern das Heil und die Liebe Gottes zu bringen. Ich bin beschämt, und wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass so etwas in Zukunft nicht wieder geschieht.“

Auf dem Flug nach England äußerte sich der Papa Emeritus am 16. September 2010 wie folgt: „Zunächst muss ich sagen, dass diese Enthüllungen für mich ein Schock waren. Sie verursachen große Traurigkeit. (…) Traurig ist auch, dass die Autorität der Kirche nicht wachsam genug war und nicht schnell und entschieden genug die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat. Deswegen befinden wir uns jetzt in einem Moment der Buße, der Demut und der erneuerten Aufrichtigkeit, wie ich an die irischen Bischöfe geschrieben habe. Wir müssen jetzt, so scheint mir, eine Zeit der Buße, eine Zeit der Demut leben und eine absolute Aufrichtigkeit wiederfinden bzw. neu lernen. Was die Opfer betrifft, sind, denke ich, drei Dinge wichtig. Das erste Interesse muss den Opfern gelten: Wie können wir Wiedergutmachung leisten, was können wir tun, um diesen Menschen zu helfen, das Trauma zu überwinden, das Leben wiederzufinden, auch das Vertrauen in die Botschaft Christi wiederzufinden? Sorge und Engagement für die Opfer ist die erste Priorität mit materieller, psychologischer, geistlicher Hilfe und Unterstützung. Das zweite ist das Problem der Schuldigen: die gerechte Strafe finden, sie von jeder Möglichkeit des Kontaktes zu Jugendlichen auszuschließen, (…). Und der dritte Punkt ist die Prävention in der Ausbildung und der Auswahl der Priesteramtskandidaten. Wir müssen so aufmerksam sein, dass nach Maßgabe der menschlichen Möglichkeiten zukünftige Fälle ausgeschlossen sind.“

Benedikt war sein Leben lang ein Mitarbeiter der Wahrheit

All diese Worte und klaren Ansagen haben uns französische Bischöfe ermutigt, diesen Fragen ins Auge zu sehen, mit der Ziviljustiz zusammenzuarbeiten, die Schwere des Leidens der Opfer zu erkennen und zu versuchen, sie zu begleiten. Benedikt XVI. war sein ganzes Leben lang ein „Mitarbeiter der Wahrheit“, gemäß seinem bischöflichen Motto. Als er bei seiner Reise nach Fatima am 13. Mai 2010 daran erinnerte, dass „Vergebung kein Ersatz für Gerechtigkeit“ ist, half er uns dabei, uns der Realität des Missbrauchs zu stellen und aus unserer Fassungslosigkeit herauszukommen.

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Durch seine Weitsicht erkannte er die Tiefe des Leidens der Opfer und machte es uns bewusst. Henri Tincq, Journalist bei Le Monde, schrieb am 19. Februar 2010: „Während in Deutschland gerade ein neuer Skandal aufgedeckt wurde, hat der Papst alle irischen Bischöfe einbestellt, die sich des Schweigens in den Fällen pädophiler Priester schuldig gemacht hatten. Benedikt XVI. zeigt sich unnachgiebiger als seine Vorgänger. Die Strenge, die Papst Benedikt XVI. bei der Behandlung von Pädophiliefällen im katholischen Klerus an den Tag legt, ist beruhigend. Nach der Herrschaft des Schweigens, ja sogar der Verachtung, die diese Skandale lange Zeit umgab, zeigt ihre Behandlung auf höchster Ebene der Kirche, dass diese endlich beschlossen hat, hart durchzugreifen und die großen Mittel der Prävention und der Repression einzusetzen.“

Der klaren Linie von Papst Benedikt, die von Franziskus übernommen wurde, verdanken wir unsere eigene Bewusstwerdung und unsere Entschlossenheit, diese Krise unserer Kirche in Frankreich anzugehen. Wir hätten dies nicht tun können, wenn Benedikt XVI. nicht mutig den Weg geebnet, eine Methode aufgezeigt und die Episkopate nachdrücklich ermutigt hätte, sich diesen Skandalen zu stellen. Und für all das sind wir ihm zutiefst dankbar.


Nicolas Brouwet ist seit August 2021 Bischof von Nîmes.

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