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Eine humanitäre, keine politische Parteinahme

Der radikale Pazifismus des Papstes ist ein Weckruf angesichts der drohenden Eskalation der Gewalt im Heiligen Land und darüber hinaus.
Papst Franziskus fordert Feuerpause
Foto: IMAGO/Evandro Inetti (www.imago-images.de) | Franziskus hat – im Gegensatz zur aktuellen UN-Resolution – den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober klar verurteilt, und er forderte am Sonntag die umgehende Freilassung der von der Hamas entführten und ...

Kann man zugleich ein Freund Israels und der Palästinenser sein? Papst Benedikt XVI. hat genau das bei seiner Heilig-Land-Reise 2009 für sich in Anspruch genommen. In Anwesenheit des damaligen wie heutigen Regierungschefs Israels, Benjamin Netanjahu, sagte er: „Kein Freund der Israelis und der Palästinenser kann es sich versagen, nicht traurig zu sein bei den anhaltenden Spannungen zwischen Ihren beiden Völkern.“ Wie sein Vorgänger und sein Nachfolger warb Benedikt XVI. für eine Zwei-Staaten-Lösung und forderte Gerechtigkeit und Frieden für alle Bewohner des Heiligen Landes.

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In einer Zeit, in der von beiden Seiten nicht weniger als eine radikale Parteinahme eingefordert wird, setzt sich die differenzierte Stimme des Papstes allerlei Missverständnissen aus: Tut Papst Franziskus, der beim sonntäglichen Mittagsgebet flehte, das Feuer einzustellen, das Gleiche wie die UN-Resolution von Freitag, die eine humanitäre Waffenruhe verlangte? Ist der radikale Pazifismus des Papstes („Krieg ist immer eine Niederlage, immer, immer“) angesichts des Hamas-Terrors nicht naiv?

Franziskus hat – im Gegensatz zur aktuellen UN-Resolution – den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober klar verurteilt, und er forderte am Sonntag die umgehende Freilassung der von der Hamas entführten und festgehaltenen Geiseln. Dem päpstlichen Friedensappell geht es nicht um eine politische, sondern um eine humanitäre Parteinahme. Franziskus steht nicht auf dieser oder jener politischen Seite, sondern versteht sich als Stimme der Leidenden, ungeachtet ihrer Nationalität und Religion. Er ergreift das Wort für die Opfer auf allen Seiten.

Die Hamas instrumentalisiert das Leid der Palästinenser

Damit aber setzt er auch ein politisches Zeichen: Denn anders als dem Papst, sind der Hamas die leidenden Palästinenser letztlich egal. Die Terrorgruppe missbraucht die armen Menschen im Gazastreifen als Schutzschilde für ihre Waffenlager und Verstecke – und als Waffe im globalen Propagandakrieg gegen Israel. Je härter Israels Krieg gegen die im dichtbesiedelten Gazastreifen versteckten Hamas-Terroristen geführt wird, desto mehr Emotionen werden die Bilder des Grauens aus dem Gazastreifen die Weltöffentlichkeit gegen Israel einnehmen.

Eine klare Unterscheidung zwischen der Hamas als Terrorgruppe und den Palästinensern, die im Gazagebiet seit langem die Geiseln dieser Fanatiker sind, wäre ein erster, kleiner Schritt zur Deeskalation. Der Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, nach dem Vorbild der Anti-IS-Allianz eine internationale Allianz gegen die Hamas zu schaffen, hätte den notwendigen Kampf vor der antiisraelischen Propagandafalle bewahrt. Es zeigt die Schwäche des Westens und die Verzweiflung des israelischen Regierungschefs, dass es dazu nicht kam. Jetzt droht Israels Krieg im Gazastreifen eine überregionale Bedrohung für Israel heraufzubeschwören. Der grundsätzliche Pazifismus des Papstes ist auch ein Weckruf angesichts dieser drohenden Eskalation der Gewalt. 

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