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Bischöfe in der Pflicht

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung lässt sich nicht mit synodaler Phrasendrescherei abspeisen.
Kampagne gegen Kindesmissbrauch
Foto: Demy Becker (dpa) | Das institutionelle Lernen dürfe nicht auf die Kirchenleitung beschränkt bleiben, sondern müsse auch in den Bistums- und Gemeindealltag kommen, erklärt Kerstin Claus.

In der Mai-Ausgabe der „Herder Korrespondenz“ spricht die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Kerstin Claus im Interview über den Stand der Aufarbeitung in der katholischen Kirche. Sie würdigt zwar die Anstrengungen der deutschen Bistümer seit 2010. Dabei widerspricht sie wesentlichen Grundannahmen des Synodalen Weges, den sie übrigens nicht einmal im Ansatz erwähnt. Dass sich die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Voten zur Frauenpredigt und der Priesterweihe von homosexuellen Personen als Erfolge der Missbrauchsaufarbeitung verkaufen lässt, ist ja auch eher unwahrscheinlich. 

Eine grundlegende Fehleinstellung der synodalen Brille entlarvt

Ausgewogen und kompetent ordnet sie die Anstrengungen der katholischen Kirche in den größeren gesellschaftlichen und politischen Kontext ein. Und entlarvt allein damit eine grundlegende Fehleinstellung der synodalen Brille. Denn diese blendet nur allzu gerne aus, dass Missbrauch eben nicht nur dort passiert, wo Menschen zölibatär leben und Frauen die Priesterweihe „verweigert“ wird. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass kirchenspezifische Faktoren zwar betrachtet werden dürfen und müssen, es aber bei weitem zu kurz greift, in ihnen die Hauptursachen für Missbrauch zu sehen, will man Missbrauch in Zukunft wirklich verhindern. Claus dazu: „Die Herausforderungen (der Aufarbeitung, A.d.R.) sind sicher erst einmal die gleichen, wie sie es auch ganz unabhängig von Kirche für die anderen Bereiche sind, etwa die Schulen oder den Sport.“ In der katholischen Kirche sei auch manches schon erreicht, was in der evangelischen Kirche noch aussteht, so Claus. Eine solche Aussage dürfte ebenfalls so gar nicht in das Bild derer passen, die in der evangelischen Kirche mit Frauenordination, verheirateten Presbytern und einer liberalen Sexualmoral das Zielbild der deutsch-synodalen Kirche sehen.

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Der Synodale Weg hat sich einer rein institutionellen Aufarbeitung verschrieben, die die persönliche Verantwortung einzelner Akteure nur allzu gerne in das rein Strukturelle einer maroden Institution überhöht. Dem hält Kerstin Claus den Ruf nach einer individuellen Aufarbeitung entgegen, die genau nach dieser persönlichen Verantwortung fragt. Individuelle Aufarbeitung erschöpfe sich nämlich nicht in der Traumabewältigung des einzelnen Betroffenen, sondern suche konkrete Antworten auf konkrete Fragen: „Wer hätte Taten verhindern können? Wer konkret trug Verantwortung? Wer hätte Verantwortung übernehmen können, ja müssen? Wer hätte im weiteren Verlauf hinsehen können und die Dinge unterbinden müssen? Ist trotz einer Meldung nichts passiert? (…) Und wer übernimmt heute die Verantwortung?“ Währenddessen meinen einzelne kirchliche Verantwortungsträger immer noch, durch lautstarke Unterstützung liberaler Forderungen mit einem blauen Auge davonzukommen – anstatt konkret Verantwortung für persönliches Fehlverhalten zu übernehmen.

Die Verantwortung liegt bei den Bischöfen

Und wo wir schon von Verantwortung sprechen: Diese sieht Claus eindeutig bei den Bischöfe verortet. Befragt zur Neuaufstellung der Aufarbeitung, für die bei der Deutsche Bischofskonferenz zukünftig eine Bischöfe Fachgruppe, ein Expertenrat und ein Betroffenenbeirat zuständig sind, antwortet sie: „Es darf keine Verantwortungsdiffusion geben. Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexueller Gewalt müssen eindeutig in der Kirchenleitung, also bei den Bischöfe, verortet bleiben.“ Verantwortungsdiffusion kann aber geradezu als einer der Leitgedanken des Synodalen Weges bezeichnet werden. In Zeiten, in denen Bischöfe ihre Leitungsgewalt – und damit auch ihre Verantwortung – gerne auf synodale Räte abschieben möchten, ist es schon bemerkenswert, wenn Akteure aus der Politik sie an ihre Verantwortung erinnern müssen.

Das institutionelle Lernen dürfe nicht auf die Kirchenleitung beschränkt bleiben, sondern müsse auch in den Bistums- und Gemeindealltag kommen, erklärt Kerstin Claus weiter. Dabei spricht sie aber eben nicht von einer Umschreibung des Credos zugunsten der einen, gleichen, synodalen und geschlechtergerechten Kirche, sondern von einer ganz konkreten Sensibilisierung der Pfarreien und kirchlichen Gemeinschaften: „Ein Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt darf nicht nur ein Ordner sein, der im Regal steht, sondern es muss gelebt werden. Wesentlich ist für mich, dass die Beteiligung aller an solchen Prozessen möglich ist. Das gilt gerade auch für die Betroffenen. Keine Gemeinde wird besser lernen, wie wichtig Aufarbeitung und Prävention sind, wie diejenige, die Betroffenen zugehört hat.“ Eine kurze Umfrage unter Kirchgängern dürfte es bestätigen: Fünf Jahre Synodaler Weg haben konsequent an diesem Anspruch vorbeigearbeitet.

Sie wird sich nicht mit den Ergebnissen des Synodalen Wegs abspeisen lassen

Mit geradezu dogmatischem Anspruch bezeichnet der Synodale Weg sich selbst als Missbrauchsaufarbeitung. Wer Zweifel an der Sinnhaftigkeit seiner Beschlüsse in Bezug auf Missbrauch anmeldet, muss sich den Vorwurf mangelnden Willens zur Aufarbeitung gefallen lassen. Kerstin Claus rückt auch hier die Dinge gerade: Die Definition von Aufarbeitung sei noch nicht hinreichend geklärt: „Es ist Teil des gesellschaftlichen, politischen und auch staatlichen Prozesses, genau hier eine Begriffsklarheit herzustellen.“ 

Worauf das hinausläuft, wird im weiteren Verlauf des Interviews deutlich: „Die Kirchen werden sich künftig mehr in die Karten schauen lassen müssen, wenn es um Aufarbeitung geht.“ Offenbar sind die Zeiten bald vorbei, in denen die Kirche in Form der synodalen Mehrheit alleine entscheidet, was als Aufarbeitung zählt und was nicht. Für Betroffene sexuellen Missbrauchs in der Kirche und Gläubige, die sich eine Kirche wünschen, die ein sicherer Ort für alle ist, ist das eine gute Nachricht: Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung wird sich nicht mit den Ergebnissen des Synodalen Weges abspeisen lassen, denn wie eine liberale Sexualmoral sexuellen Missbrauch verhindern soll, während Betroffene weiterhin ihre Bedürfnisse ignoriert sehen, dürfte dieser Dame schwer verständlich zu machen sein. Stattdessen wird sie die Bischöfe in Bezug auf konkrete Maßnahmen, die sich tatsächlich auf Missbrauch beziehen, in die Pflicht nehmen. Dazu ist es höchste Zeit.

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