Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Vor dem Türkei-Besuch des Papstes

Einheit ohne Vielfalt ist Tyrannei, Vielfalt ohne Einheit ist Zerfall

Wenn sich Papst Leo am Freitag in Iznik mit anderen Oberhäuptern der Christenheit trifft, hat er ein Apostolisches Schreiben zum Konzil von Nizäa dabei. Heute hat es der Vatikan veröffentlicht.
Vatikan veröffentlicht Apostolisches Schreiben „In unitate fidei“
Foto: IMAGO/VATICAN MEDIA (www.imago-images.de) | Papst Leo lädt in seinem Apostolischen Schreiben alle Christen zur Gewissenserforschung ein: Ist der Glaube von Nizäa heute noch unter den Getauften lebendig?

Kurz vor Beginn seiner ersten Auslandsreise in die Türkei und in den Libanon, wo Führer der Christenheit zusammen mit dem Papst des ersten Ökumenischen Konzils von Nizäa vor 1.700 Jahren gedenken, hat der Vatikan am Sonntag ein Apostolisches Schreiben von Leo XIV. zu diesem Anlass veröffentlicht.

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Es sei eine glückliche Fügung, schreibt der Papst zu Beginn, dass „wir in diesem Heiligen Jahr, das unserer Hoffnung gewidmet ist, die Christus ist, zugleich das 1.700-jährige Jubiläum des ersten ökumenischen Konzils von Nizäa feiern, das im Jahr 325 das Bekenntnis zu Jesus Christus, dem Sohn Gottes, verkündet hat. Dies ist das Herz des christlichen Glaubens. Noch heute sprechen wir in der sonntäglichen Eucharistiefeier das Nizäno-Konstantinopolitanum, das Glaubensbekenntnis, das alle Christen verbindet. Es gibt uns Hoffnung in den schwierigen Zeiten, in denen wir leben, inmitten vieler Sorgen und Ängste, Bedrohungen durch Krieg und Gewalt, Naturkatastrophen, gravierenden Ungerechtigkeiten und Missständen, Hunger und Elend, unter denen Millionen unserer Brüder und Schwestern leiden.“

Keine Philosophie, sondern ein Faktum

Zunächst geht der Papst in dem nicht sehr langen Schreiben, das in zwölf Abschnitte gegliedert ist und den Titel „In unitate fidei“ (In der Einheit des Glaubens) trägt, auf den Weg zum Konzil von Nizäa, den Streit um den Presbyter Arius, der die göttliche Natur Jesu in Frage gestellt hatte, und die Entscheidung der ersten Ökumenischen Bischofsversammlung der noch jungen Kirche unter Kaiser Konstantin ein.

Zusammenfassend schreibt Papst Leo: „Das Bekenntnis von Nizäa formuliert keine philosophische Theorie. Es bekennt den Glauben an den Gott, der uns durch Jesus Christus erlöst hat.“ Damit grenze sich Nizäa von der Irrlehre ab, der Logos habe als äußere Verkleidung nur einen Leib angenommen, nicht aber die menschliche Seele, die mit Verstand und freiem Willen ausgestattet sei. Nizäa „will hingegen sagen, was das Konzil von Chalkedon (451) dann ausdrücklich erklärte: Gott hat in Christus den ganzen Menschen mit Leib und Seele angenommen und erlöst“.

Ausdrücklich würdigt der Papst den heiligen Athanasius als „unbeugsam und standhaft“ in seinem Glauben: „Obwohl er gleich fünf Mal vom Bischofsstuhl in Alexandrien abgesetzt und vertrieben wurde, kehrte er jedes Mal wieder als Bischof dorthin zurück. Auch aus der Verbannung gab er durch seine Schriften und Briefe dem Gottesvolk weiterhin Orientierung. Wie einst Mose konnte auch Athanasius das gelobte Land des Kirchenfriedens nicht mehr betreten.“ 

Ein Band zwischen Ost und West

Danach sei auf dem Ersten Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 der Glaubensartikel über den Heiligen Geist formuliert worden. So heiße es im Glaubensbekenntnis, das seitdem als Nizäno-Konstantinopolitanum bezeichnet werde: „Wir glauben an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der aus dem Vater hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohne mitangebetet und mitverherrlicht wird, der durch die Propheten gesprochen hat.“

Insgesamt sei die Bedeutung der Konzilien von Nizäa und Konstantinopel für die Zeit von heute nicht zu unterschätzen: „Durch das Konzil von Chalkedon 451 wurde das Konzil von Konstantinopel als ökumenisch anerkannt und das nizäno-konstantinopolitanische Bekenntnis als universal verbindlich erklärt. Es stellte somit ein Band der Einheit zwischen Ost und West dar. Im 16. Jahrhundert haben es auch die kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind, bewahrt. So ist das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis das gemeinsame Bekenntnis aller christlichen Traditionen.“

Nizäa lädt zur Gewissenserforschung ein

Papst Leo lädt alle Christen zur Gewissenserforschung ein: Ist der Glaube von Nizäa heute noch unter den Getauften lebendig? „Was bedeutet mir Gott und wie bezeuge ich den Glauben an ihn?“, fragt der Papst und fährt fort: „Ist der eine und einzige Gott wirklich der Herr des Lebens, oder gibt es Götzen, die mir wichtiger sind als Gott und seine Gebote? Ist Gott für mich der lebendige Gott, der in jeder Situation nahe ist, ist er der Vater, an den ich mich mit kindlichem Vertrauen wende? Ist er der Schöpfer, dem ich alles verdanke, was ich bin und habe, dessen Spuren ich in allen Geschöpfen finden kann? Bin ich bereit, die Güter der Erde, die allen gehören, in gerechter und in fairer Weise zu teilen? Wie gehe ich mit der Schöpfung um, die das Werk seiner Hände ist? Gebrauche ich sie mit Ehrfurcht und Dank, oder beute ich sie aus, zerstöre ich sie, statt sie als gemeinsames Haus der Menschheit zu hüten und zu kultivieren?“

Die Bedeutung Nizäas für die Ökumene

Groß sei auch die ökumenische Bedeutung des Konzils von Nizäa, fährt der Papst fort. Unter Hinweis auf die Lehre des Zweiten Vatikanums zur Ökumene schreibt Leo XIV.: „Auch wenn uns die volle sichtbare Einheit mit den orthodoxen und altorientalischen Kirchen und den kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind, noch nicht geschenkt wurde, hat uns der ökumenische Dialog dazu geführt, dass wir auf der Grundlage der einen Taufe und des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses in den Brüdern und Schwestern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften unsere Brüder und Schwestern in Jesus Christus erkannt und in der ganzen Welt die eine universale Gemeinschaft der Jünger Christi wieder neu entdeckt haben.“

Was diese christlichen Konfessionen eine, „ist tatsächlich weit mehr als das, was uns trennt!“ So könne die eine universale Christenheit in einer zerrissenen und von vielen Konflikten durchfurchten Welt ein Zeichen des Friedens und ein Werkzeug der Versöhnung sein und damit entscheidend zu einem weltweiten Engagement für den Frieden beitragen.

Vielheit ohne Einheit bedeutet Zerfall

Das Konzil von Nizäa schlage „ein Modell wahrer Einheit in der legitimen Unterschiedenheit vor“. Einheit ohne Vielheit sei Tyrannei, Vielheit ohne Einheit bedeute dagegen Zerfall. Die trinitarische Dynamik sei nicht dualistisch, schreibt Leo, wie ein ausschließendes „aut-aut“, sondern eine einbeziehende Verbindung, ein „et-et“: „Der Heilige Geist ist das Band der Einheit, das wir zusammen mit dem Vater und dem Sohn anbeten. Wir müssen also theologische Kontroversen, die ihre Daseinsberechtigung verloren haben, hinter uns lassen, um zu einem gemeinsamen Denken und noch mehr zu einem gemeinsamen Beten zum Heiligen Geist zu finden, damit er uns alle in einem einzigen Glauben und einer einzigen Liebe vereine.“

Das bedeute keine Rückkehrökumene zum Zustand vor den Spaltungen, bekräftigt der Papst, auch keine gegenseitige Anerkennung des aktuellen „Status quo“ der Vielheit von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, „sondern vielmehr eine Zukunftsökumene der Versöhnung auf dem Weg des Dialogs, des Austauschs unserer Gaben und geistlichen Schätze.“ Das sei eine theologische und noch mehr eine geistliche Herausforderung, bei der auf allen Seiten Umdenken und Bekehrung notwendig seien. „Dazu brauchen wir“, schließt Leo XIV., „eine geistliche Ökumene des Gebets, der Lobpreisung und Anbetung, wie es beim Bekenntnis von Nizäa und Konstantinopel geschehen ist“.

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