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Italienische Städte feiern den 700. Geburtstag Dante Alighieris

Wer sich in politisch unruhigen Zeiten auf die falsche Seite schlägt, konnte schon immer alles verlieren. Erst postum widerfährt manchen so Geschmähten dann Gerechtigkeit: Viele italienische Städte feiern 2021 den 700. Geburtstag Dante Alighieris. Viele anders, als man das wohl geplant hatte.
Das gewaltige Marmorkenotaph in Santa Croce in Florenz
Foto: Imago Images | Das gewaltige Marmorkenotaph in Santa Croce in Florenz ist leer. Denn Dante Alighieri ist nicht in seiner Heimatstadt Florenz beigesetzt, sondern in Ravenna, das immer wieder deutlich machte, dass Dante seinen ...

Leonardo, Raffael, nun Dante – die Jubiläen italienischer Künstler von Weltrang setzen sich fort. Zum 700. Mal jährt sich der Tod eines der größten Dichter der Weltliteratur am 14. September. Dabei könnte mancher Liebhaber angesichts der Corona-Maßnahmen seufzen: Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr dieses Jahr betretet! Denn über jeder Planung schwebt das Damoklesschwert, das sämtliche Veranstaltungen nur unter Vorbehalt zulässt. Rom, Arezzo, Forli, Turin, Pisa und Bologna sind nur einige Städte, die ein Dante-Programm aufgestellt haben. Die italienische Regierung hat für den 25. März sogar einen „Dantedi“, einen Dantetag, angesetzt, der von da an jährlich begangen werden soll. Mariä Verkündigung gilt als Anfangstag der Reise Dantes durch Hölle, Purgatorium und Paradies in seiner Göttlichen Komödie.

Die Familie Alighieri lebte in Verona weiter

Die Geburtsstadt Florenz hat sich dabei an die Spitze gesetzt. Neben Ausstellungen und „Live-Perfomances“ – ob nun als klassische Vorlesung oder Tanzeinlagen – hat Florenz frühzeitig auf das Internet gesetzt und stellt derzeit Illustrationen einer Dante-Ausgabe aus der Renaissance online. Es sind Blätter aus den Uffizien, die nur selten ausgestellt wurden. In Symposien wird Dantes Rolle für die italienische (National-)Geschichte belichtet, andere betrachten Wirkungsorte und Einfluss auf das europäische Ausland oder Verbindungen zur jüdischen Mystik.

Doch Dante ist mitnichten nur Florentiner. Verbannt, ausgestoßen und geächtet hat der „sommo Poeta“ Hölle und Läuterungsberg in der Toskana verfasst – das Paradies entstand dagegen im Exil unter Schutz des Signore Cangrande della Scala. Ein Umstand, den die Veroneser bis heute betonen. Die Stadt an der Etsch erinnert an dieses Erbe, bleibt aber deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück – man konzentriert sich mehrheitlich auf Forschungsbeiträge. Die Familie Alighieri lebte nicht in Florenz, sondern in Verona fort, und hatte dort bedeutende politische Funktionen inne, bis sie im 16. Jahrhundert im Mannesstamm ausstarb. Die letzte Tochter durfte das reiche Erbe erst in das Haus der Dynastie Serego tragen, als die Serego zustimmten, den Familiennamen Alighieri fortzuführen.

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Familientradition: Wichtige gesellschaftliche Funktionen wahrnehmen

Dantes Nachfahren nahmen nicht nur den Architekten Palladio in ihre Dienste, sondern befehligten als Capitani im Namen der Republik Venedig den Gardasee und leisteten in den „Pasque Veronesi“ – dem Osteraufstand der Veroneser im Jahr 1797 – Napoleons Invasionstruppen Widerstand. Im frühen 19. Jahrhundert stiegen die Serego Alighieri in den Grafenstand durch Heirat auf, mit Dante Serego Alighieri nahm ein Familienmitglied als Freiheitskämpfer im Risorgimento teil und wurde später Bürgermeister von Venedig. Bis heute residiert die Familie auf dem Landgut Gargagnago im Valpolicella, das Dantes Sohn Pietro Alighieri im Jahr 1353 erworben hatte.

Ist es Zufall oder eine sich erfüllende Prophezeiung, dass sich in den Nachkommen Dantes die italienische Geschichte spiegelt? Die Romantik stilisierte Dante zum eigentlichen Übervater der Nation. Auch nördlich der Alpen weckte der „Poeta“ neues Interesse: als Gegenbild zu Aufklärung, zu Moderne, Säkularisierung und Atheismus. Als jener Mann, der die Grenzen Italiens als Sprachgrenzen festlegte – nämlich als das „schöne Land wo das si“ erklingt – besaß er ultimative Autorität unter den Anhängern der Einheitsbewegung. Ausgerechnet in ihm, den Dichter von Himmel und Hölle, erkannten die Patrioten einen kaisertreuen Ghibellinen und Gegenspieler des Papsttums, den der frisch gegründete Nationalstaat zu einer säkularen Kultfigur erhob. Die Göttliche Komödie wurde nicht nur zum Nationalepos, sondern auch zur prophetischen Schau verklärt. Dass Beatrice auf dem Gipfel des Purgatorio einen grünen Mantel, einen weißen Schleier und ein flammenrotes Gewand trägt, konnte nur Hinweis auf die Trikolore sein.

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Franziskus will dem Dichter eine Betrachtung widmen

Dass nicht mehr die christliche Liebe, sondern die nationale Einheit im Mittelpunkt stand, forderte die Kirche heraus. Rom war nicht bereit, den Dichter der Idee preiszugeben, dieser sei in Wirklichkeit ein häretischer Parteigänger des Kaisers gewesen, der von einer imperialen Zukunft träumte. Papst Benedikt XV. widmete ihm 1921 – zum 600. Todestag – die Enzyklika In praeclara summorum, die dagegen die thomistische Beeinflussung hervorhob; Dante habe in „exemplarischer Weise“ den katholischen Glauben bezeugt und die Römische Kirche wie den Papst in hohen Ehren gehalten. Papst Franziskus hat diese Tradition fortgesetzt, indem er Dante bereits im September des letzten Jahres würdigte: „Dante lädt uns einmal mehr dazu ein, den verlorenen oder verdunkelten Sinn unseres irdischen Wegs wiederzufinden.“ Der Pontifex kündigte an, ihm in diesem Jahr ebenfalls eine Betrachtung zu widmen.

Im Gegensatz zur christlichen Liebe ist die italienische Einheit ein weltliches Ding, das überdies nie die Konkurrenz unter den Kommunen beseitigen konnte. Das zeigt sich auch an der letzten Lebensstation Ravenna, das im Schatten seiner spätantiken Attraktionen den Dichter nur selten ins Rampenlicht rückt – vielen Touristen ist das Dante-Grab in der Nähe der Basilika San Francesco sogar unbekannt, wenn sich nicht Verehrer, Gelehrte oder Schülergruppen vor dem kleinen Grabtempel versammeln. Ravenna hat nicht geknausert und stellt 13 Ausstellungen in Aussicht, dazu Symposien und Lesungen, Konzerte mit spätmittelalterlicher Musik oder auch Aktionen wie die im Winter zu lesenden Leuchtschriften über den Straßen im Stadtzentrum, die Dante-Verse rezitieren.

Wem „gehört“ Dante: Ravenna oder Florenz?

Es sind Feierlichkeiten, die dem Geburtsort Florenz bis heute einen Dolch ins Herz treiben – der berühmteste Florentiner liegt im Exil, das gewaltige Marmorkenotaph im Nationalheiligtum Santa Croce bleibt leer. Zum siebenhundertsten Mal werden die Florentiner daran erinnert, zum siebenhundertsten Mal regiert der Gedanke, Dante endlich heimzuholen. Ravenna hat sich stets gewehrt: es verweigerte sich, als Dantes Ruf wieder in Florenz restituiert wurde; es verweigerte sich, als der Medici-Papst Leo X. im Jahr 1519 verfügte, dass die Gebeine überführt werden sollten; und es verweigerte sich, als Ähnliches nach der Gründung des Nationalstaates geschehen sollte. Ravenna beharrte darauf, dass Dante seinen letzten Ruheort selbst gewählt hatte – und ließ die Gebeine verschwinden, wenn Delegationen anklopften.

Der italienische Staat wollte die leidvolle Geschichte beenden. „Dante ist die Einheit des Landes, Dante ist die italienische Sprache, Dante ist die Idee Italiens selbst“, verkündete Kulturminister Dario Franceschini. Er unterstützte ein Anliegen, dass Dante wenigstens im Gedenkjahr in seine Heimatstadt zurückkehren sollte. Der Vorschlag kam ausgerechnet von einer Ravennatin. Der Aufruhr war groß, Bürgermeister Michele de Pasquale machte auf Facebook klar, dass dergleichen nicht geschehen würde: „Dantes Exilierung, die Beschlagnahmung seiner Güter, der Entzug von Sicherheit und die Demütigung seiner Würde als Intellektueller im Dienst seiner Stadt ist ein historischer Fakt.“ Mit der Gründung Italiens sei Dantes Heimat nicht mehr Florenz, sondern Italien – und damit auch Ravenna.

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