Vade retro Salvini“ – „Hinweg mit dir, Salvini“ – heißt es auf der Titelseite von „Famiglia Cristiana“, der auflagenstarken katholischen Wochenzeitung Italiens. Dazu das Foto von Innenminister Matteo Salvini und der Schattenriss eines Priesters, der einen Exorzismus an dem Lega-Chef vorzunehmen scheint. Die Auseinandersetzung zwischen der Kirche und der neuen italienischen Regierung um die Flüchtlingspolitik hat einen polemischen Höhepunkt erreicht. Genau in dem Augenblick, in dem die Lega einen Gesetzesentwurf im Parlament eingebracht hat, der das Aufhängen von Kreuzen in allen öffentlichen Gebäuden vorschreiben soll. Die Fronten sind dabei klar: Auf der einen Seite Salvini als Exponent der rechtspopulistischen Lega, die nicht zuletzt der Flüchtlingshysterie in Italien einen guten Teil ihres Wahlerfolgs vom März verdankt. Auf der anderen Seite Vertreter eines ganz bestimmten katholischen Lagers, das von den Gegnern gerne als die Riege der „Cattocomunisti“ – zu Deutsch würde man „Linkskatholiken“ sagen – verschrieen wird. Dass Salvini vor einer Woche zusammen mit der römischen Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Bewegung der Fünf Sterne in der Hauptstadt ein Lager von Zigeunern, Nomaden und Migranten räumen ließ, was nicht ohne lebhaften Protest der etwa 450 Insassen vor sich ging, verstärkt das Kampfklima. Wenn sich die Wochenzeitung „Famiglia Cristiana“ reißerisch gibt, dann kann sie das, sie gehört dem Verlag San Paolo, der wiederum von dem religiösen Institut der „Paolini“ abhängt, nicht – wie etwa die Tageszeitung „Avvenire“ – von der Bischofskonferenz, also von der offiziellen Kirche Italiens. Denn die Bischöfe halten sich zurück, obwohl einige Exponenten des Episkopats ganz klar im Sinne der Prinzipien der Flüchtlingshilfe Stellung genommen haben, wie sie Papst Franziskus fordert. Aber die Atmosphäre bleibt gereizt. Zumal Salvini die Hierarchie immer wieder zu provozieren weiß. Wenn er etwa bei Wahlkampfveranstaltungen mit dem Rosenkranz in der Hand auftritt, den Eid als Innenminister auf die Bibel ablegt oder es seine Lega jetzt Markus Söder nachmacht und per Gesetzesdekret das Kreuz in alle öffentlichen Gebäude bringen will.
Auch die jüngste Attacke der Zeitschrift „Famiglia Cristiana“ wusste Salvini zu nutzen, um weiter den Spalt in das katholische Lager zu treiben. Den Vergleich mit dem Satan nannte er „äußerst geschmacklos“. Er erlebe täglich die Unterstützung von Frauen und Männern der Kirche. Auch nach katholischer Lehre bestehe die Pflicht zur Aufnahme nur nach Maßgabe des Möglichen – „und in Italien ist das Maß voll“.
Der ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi vom „Partito democratico“ dagegen verteidigte „Famiglia Cristiana“. Wer mit dem Rosenkranz Wahlkampf mache, für das Kreuz in öffentlichen Räumen zu Felde ziehe und so tue, als ob er auf das Evangelium schwöre, dürfe sich über das Titelblatt der Zeitschrift nicht aufregen, zitierte der „Corriere della Sera“. Barbara Saltamartini von der Lega hielt gegenüber der gleichen Zeitung dagegen, „Famiglia Cristiana“ sei „ein Organ der politischen Presse geworden“. Salvini mit Satan zu vergleichen, heiße, „sich hinter die Schleuser und Menschenhändler zu stellen“.
Kirchenbeitrag spiegelt Stimmung wider
Doch wie sehen die Italiener auf der Straße den Streit? Stehen sie vorbehaltlos hinter Papst Franziskus und der Mehrheit der italienischen Bischöfe oder folgen sie der Migranten abweisenden Linie Salvinis? In den Bars, auf den Plätzen und in den Sozialen Medien hört man alles. Die ganze Bandbreite in der Haltung zu Migranten – von denen, die in Flüchtlingscamps als freiwillige Helfer arbeiten, bis zu den Befürwortern einer völligen Abschottung – zieht sich quer durch das katholische Spektrum. Aber der Vatikanist Sandro Magister hat jetzt auf ein nicht ganz uninteressantes Datum aufmerksam gemacht. Auch wenn es der Papst selbst ist, der seit seinem Besuch auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa für die Aufnahme, Wertschätzung und Integration von Flüchtlingen wirbt, und diese Position zur Haltung der gesamten Kirche Italiens geworden ist und entsprechend von dem Generalsekretär Bischof Nunzio Galantino und dann dem neuen Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Gualterio Bassetti, vertreten wird, zeigte Magister, dass diese Linie sich bei der Zahlung des Kirchenbeitrags zunehmend negativ auszuwirken scheint. Das in Italien geltende System des Kirchenbeitrags, der „8 per mille“, sieht vor, dass jeder Steuerzahler verpflichtet ist, einen Beitrag in Höhe von acht Promille des zu versteuernden Einkommens an eine Religionsgemeinschaft, an den Staat für soziale Aufgaben oder an eine Nichtregierungsorganisation abzuführen und in der Steuererklärung anzukreuzen, an wen sein Beitrag gehen soll. Die katholische Kirche war seit jeher Hauptprofiteur dieser allgemeinen Kultur- und Sozialsteuer und erhält vom Staat etwa eine Milliarde Euro pro Jahr überwiesen. 2005 (das Todesjahr Johannes Paul II.) stellte ein Rekordjahr dar. Neunzig Prozent der Steuerzahler wiesen ihren „8 per mille“ der katholischen Kirche zu.
In den Jahren Benedikts XVI. ging dieser Anteil auf 80 Prozent zurück. Mit Franziskus stieg der Anteil keineswegs, sondern verzeichnete 2017 einen historischen Negativrekord von 79,36 Prozent seit Einführung des Systems im Jahr 1985. Doch wenn man die absoluten Zahlen der Italiener, die die katholische Kirche angekreuzt haben, anschaut, ergibt sich noch ein anderes Bild: In den letzten Jahren seines Pontifikat verzeichnete Benedikt XVI. eine Rekordzahl von über fünfzehn Millionen Unterzeichnern, ein Höchststand, den Johannes Paul II. nie erreicht hatte. Unter Franziskus ging dann die Zahl der Italiener, die ihren „8 per mille“ der katholischen Kirche zukommen lassen wollen, permanent zurück: von 14,4 Millionen 2015 auf 13,8 Millionen im Jahr 2017. Zumindest in finanzieller Hinsicht ist in Italien von einem „Franziskus-Effekt“ nichts zu spüren.