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Zur Erinnerung an Theodor Haecker

Erinnerungen an Theodor Haeckers Leben und Wirken. Von Jakob Knab
Theodor Haecker, Schriftsteller
Foto: Foto: | Theodor Haecker, wie ihn der Maler Richard Seewald sah. wiki

Theodor Haecker wurde Anfang Juni 1879 in Eberbach (Region Hohenlohe) in einem protestantischen Elternhaus geboren. Es gibt erstaunliche Berührungspunkte: Sein Geburtstag war jener Tag, an dem der neu ernannte Kardinal, Konvertit und – seit Oktober 2019 – nunmehr Heilige John Henry Newman von Rom aus die Heimreise nach England antrat. Für Newman freilich gab es „keine blinden Zufälle“ bei den Ereignissen der Geschichte, sondern für ihn waren die „Akte der göttlichen Vorsehung“ Elemente einer Heilsgeschichte.

Als Haecker im August 1914 den nationalen Taumel der Kriegsbegeisterung miterleben musste, da wurde er zum Satiriker. Bald wurden seine polemischen Angriffe auf den militaristischen Zeitgeist von der Zensur verhindert. Als Deutscher war er „in Hirn und Herz verwundet“, er hatte gegen den Krieg angeschrieben „im Zorn, im Grimm, im Groll, und doch nicht Hass“. Haecker war entsetzt über die Kriegspredigten: „Während die Diener der offiziellen Kirchen Predigten für Kriegsanleihen halten und nur allzu oft die freche Machtgier der europäischen Staaten unterstützen, brechen die Dämonen ein in das Seelenreich der Menschen und richten Unheil an.“

Geschichte als Heilsgeschichte lesen

Haecker ließ seiner Abneigung gegen nationalprotestantische Mentalitäten und gegen den preußischen Militarismus freien Lauf: „Sie würden Christus, wenn er heute wiederkäme, zwar nicht eine Dornenkrone aufsetzen, aber eine Pickelhaube.“ 1918 wurde der entschiedene Kriegsgegner Theodor Haecker zum letzten Aufgebot einberufen; seine militärische Grundausbildung erhielt er in der sogenannten „Herz-Jesu-Kompanie“ in München.

In jenen Kriegszeiten war Theodor Haecker, so Karl Kraus, der einzige Mann, der polemischen Mut und Ausdruck fand. Aber Satire und Polemik konnten Haeckers existenzielle Leere nicht füllen. Wer ihn in seiner Tiefe verstehen will, muss sich auf dessen Lebensentscheidung einlassen, auf seinen Überschritt hin zur Reife und Weisheit eines John Henry Newman. Haecker würdigte das Geheimnis der Überzeugungskraft Newmans, die „in einer edlen Humanität und in den geheiligten Tugenden der Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit“ ihre tiefen Wurzeln hat.

Geschichte ist Geschichte des Weges zum Heil oder des Abfalls 

Im April 1921 wurde Haecker in die Katholische Kirche aufgenommen. Eine tiefe geistliche Begründung für diese Konversion gibt er uns im November 1921; er spricht vom „Augenblick der Wandlung“: „Ich musste große Umwege machen, ehe ich zu mir selber kam – und dass meine Seele sich schwinge aus dem Meere der Schwermut, darein sie zu versinken drohte, zu den ewigen Sternen der Hoffnung, denn immer leuchtete ein Licht, das nicht von dieser Welt ist. Das Ganze weiß doch nur Gott, und wenn es um das Ganze geht, dann habe ich alle Schriftstellerei vergessen, dann bin ich auf den Knien und rede nicht mehr und schreibe noch weniger. Denn ich bin auf dem Wege gewesen, langsam aber hartnäckig, und mit Hilfe von oben – in alle Nacht leuchtete ein Licht, das nicht von dieser Welt ist.“ In Haeckers Sicht war die einzelne Person und deren Erlösung Sinn und Ziel der Geschichte. Dieses Sinnziel liegt aber nicht in der Endlichkeit der weltlichen Geschichte, sondern in der Unendlichkeit Gottes: „Alle Geschichte ist Geschichte des Weges zum Heil oder des Abfalls von Gott.“ In seinem Werk „Der Christ und die Geschichte“ (1935) gelangte der christliche Existenzialist Haecker zu dieser Erkenntnis: „Um der Geschichte der einzelnen heiligen Seele willen ist jede andere Geschichte.“

Nach dem Putschversuch vom 9. November 1923 sprach Haecker von Hitler als der „Bestie“. Im Umfeld der Bücherverbrennungen vom Mai 1933 wurde Haeckers Haus durchsucht; er selbst wurde vorübergehend festgenommen. Haecker erhielt 1936 Rede-, 1938 Publikationsverbot. Wir können Haeckers Haltung und seinen Anspruch am schönsten aus einer Aufzeichnung ersehen, die in seinem Nachlass gefunden wurde: „Ich habe nicht die Macht zu verhindern, dass heute das Gesindel die Welt regiert, aber gegen eines kann ich mich Gott sei Dank doch wehren, so schwach ich auch bin, dass mir nämlich das Gesindel die Welt erklärt. Hier bin ich nicht wehrlos.“

"Ich habe nicht die Macht zu verhindern,
dass heute das Gesindel die Welt regiert,
aber gegen eines kann ich mich Gott sei Dank doch wehren,
so schwach ich auch bin,
dass mir nämlich das Gesindel die Welt erklärt."

Hans Scholl begegnete Theodor Haecker, als er ab August 1941 Carl Muths Privatbibliothek in München-Solln ordnete; denn alle 14 Tage besuchte Haecker seinen Weggefährten Carl Muth, den Herausgeber der katholischen Zeitschrift Hochland. „Theodor Haecker habe ich neulich persönlich kennengelernt“, schrieb Hans Scholl an einen Freund. „Ich muss schon sagen, er gehört zu jenen gewaltigen Erscheinungen, die das, was sie geschrieben haben, durch ihre Person noch steigern.“ Für den ungestümen Scholl wurde Haecker zum Mentor: „Diese Zeit hat für unser Innerstes doch ihr Gutes. Man kommt immer auf festere Bahnen. Vom Wesentlichen wird uns unter gar keinen Umständen etwas genommen, und das ist ein Trost. Durch alle Nacht hindurch leuchtet ein dauerndes Licht.“

Theodor Haecker: Der Mentor Hans Scholls

Im vierten Flugblatt der „Weißen Rose“ lesen wir: „Überall und zu allen Zeiten der höchsten Not sind Menschen aufgestanden, Propheten, Heilige, die ihre Freiheit gewahrt hatten, die auf den Einzigen Gott hinwiesen und mit seiner Hilfe das Volk zur Umkehr mahnten.“ Wie kam Hans Scholl dazu, von „Propheten“ und „Heiligen“ zu sprechen, während er andererseits Hitler als „Antichrist“ und „Dämon“ anprangerte? Die Antwort liegt auf der Hand: Manche Passagen verfasste Scholl im prophetischen Duktus seines Mentors Haecker.

Haeckers letzte Lesung im Freundeskreis der Weißen Rose fand am 4. Februar 1943 statt. Er griff die Frage auf, wie Gott eine Welt erschaffen konnte, „in der es all das Entsetzliche an Leid und Leiden und Tränen gibt“. Er gelangte zu der Einsicht: „Über der Allmacht Gottes steht seine Liebe, und die überquellende Fülle Seiner Gerechtigkeit ist Seine Barmherzigkeit.“ Seine letzten Worte im Freundeskreis waren: „Nicht das Leiden erlöst, sondern die Liebe, die Liebe Gottes…“ Nach der Hinrichtung von Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst am 22. Februar 1943 versank Theodor Haecker in einem „Meer der Schwermut“; er verstummte bis Juni 1943.

„Aber weil das Herz zum Herzen spricht…“

Die Familie Scholl pflegte weiterhin Kontakte zu Haecker. Nach der Entlassung aus der „Sippenhaft“ im Juni 1944 verließ Mutter Lina Scholl mit ihren Töchtern Inge und Elisabeth die Stadt Ulm, um aus dem Gesichtskreis der Gestapo zu verschwinden.

In einem Einödhof im Schwarzwald tauchten sie bis zum Kriegsende unter. Im Juli/ August 1944 verbrachte Haecker dort sieben Wochen. Zum Abschied schrieb Haecker in das Gästebuch der Familie Scholl: „Ich lebte unter der ehernen Sonne glorreicher Sommertage, ich sah den zunehmenden Mond und den vollen und den abnehmenden, ich sah die dunkle Nacht und den überreichen Sternenhimmel. Aber weil das Herz zum Herzen spricht, war doch das Schönste: ich durfte sieben Wochen gute Taten sehen und gute Worte hören von guten Herzen. Dafür danke ich und bitte Gott, dass er mit seiner Güte ihre Güte lohnen möge. 26. August 1944 Theodor Haecker“. Mit der Formulierung „Aber weil das Herz zum Herzen spricht…“ übernahm Haecker das Motto von Newmans Wappenspruch als Kardinal: Cor Ad Cor Loquitur.

Ausgebombt flüchtete Haecker nach Ustersbach, wo er am 9. April 1945 starb.

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