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Würde als Bürde

Priester sind Mitwirkende Gottes und betreiben als Seelsorger die Kunst aller Künste: Der Trierer Patristiker Michael Fiedrowicz hat die Programmschrift des heilige Gregors von Nazianz über das Weiheamt glänzend analysiert.
Heiliger Gregor von Nazianz
Foto: KNA | Bibelfest und sprachgewaltig: Gregor von Nazianz, dargestellt im Kölner Dom.

In der byzantinischen Tradition nennt man Gregor von Nazianz „den Theologen“. Seine Reden, Briefe und Gedichte gehören zu den Schätzen der christlichen Literatur. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war er Bischof von Konstantinopel (380–381), ein Posten, den er freiwillig verließ, um auf einem Landgut bis zu seinem Tod 390 ein kontemplatives Leben zu führen. Gregors theologische Bedeutung liegt vor allem in der Trinitätslehre. Aber auch über das Priestertum hat Gregor sich Gedanken gemacht.

Umfangreiche Programmschrift über Priestertum und Bischofsamt

Johannes XXIII. empfahl 1960 den römischen Priestern die einschlägige „Zweite Rede“ Gregors zur Lektüre, eine umfangreiche Programmschrift über Priestertum und Bischofsamt, die auch der Katechismus der Katholischen Kirche mehrfach zitiert. Die nun vorliegende zweisprachige und im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Reihen erstaunlich günstige Neuausgabe wird mit ihrer deutschen Übersetzung Gregors großartigen rhetorischen und stilistischen Fähigkeiten vollauf gerecht. Der Trierer Patristiker Michael Fiedrowicz hat dem Text eine hervorragende Einführung vorangestellt, in der er die historischen Hintergründe und den theologischen Gehalt der Schrift luzide analysiert.

Gregor wurde 326 oder 329/30 geboren. Sein aus einer jüdisch-heidnischen Sekte zum Christentum konvertierter Vater war von 329 bis 374 Bischof von Nazianz. In Caesarea, Alexandrien und Athen erhielt Gregor eine sorgfältige Ausbildung. Einer seiner Mitstudenten und ein lebenslänglicher Freund war der Kirchenvater Basilius. In Annesi in der Schwarzmeer-Region Pontus führten Gregor, Basilius und andere eine zeitlang ein monastisches Leben, in dessen Mittelpunkt Gebet und Studium standen. Gregor schwankte in diesen Jahren zwischen seiner Liebe zur Kontemplation und seinem Willen, sich in der Welt auch praktischen Aufgaben zu stellen. Etwa 361 wurde er trotz seines Widerstrebens von seinem mittlerweile achtzigjährigen Vater zum Priester geweiht, da dieser einen geeigneten Nachfolger wollte. Danach floh er für eine Weile wieder nach Annesi. Aus Pflichtbewusstsein kehrte Gregor 362/63 erneut nach Nazianz zurück.

Um das Osterfest 362 oder 363 herum entstand dort die vorliegende Rede. Ihr nicht von Gregor stammender Titel „Apologie für seine Flucht“ weist auf den historischen Kontext hin. Gregor musste begründen, weshalb er vor der Übernahme eines priesterlichen Amtes erst zurückgeschreckt war. Einige Ursachen reißt Gregor nur kurz an, wie seine Sehnsucht nach einem beschaulichen Leben.

Würde und Erhabenheit des Priestertums

Ausführlich dagegen beleuchtet er in mehr als neunzig Kapiteln die Würde und Erhabenheit des Priestertums und schwingt sich dabei über den unmittelbaren Anlass der Rede hinaus zu einer beeindruckenden Gesamtschau auf. Gregor verwendet durchgehend starke Metaphern und Sprachbilder und spricht sein Publikum emotional direkt an („Ich bin in Eurer Hand, Hirten und Mitbrüder. Ich bin in Eurer Hand, heilige Herde, die du Christus, des Oberhirten, würdig bist“). Wie andere Kirchenväter stellt er durch zahlreiche Bibelzitate eine staunenswerte Vertrautheit mit der Heiligen Schrift unter Beweis.

Gregor entwirft in dieser Rede einerseits ein positives Ideal- und Leitbild des Priestertums und des Bischofsamtes, indem er deren besondere Würde und Verantwortung herausstellt und beschreibt, inwiefern Priester „Diener und Mitwirkende“ Gottes sind. Dieser Gedanke ist für ihn sehr wichtig. Zudem ist für ihn klar, dass ein Theologe sich zuerst selbst einer moralischen und intellektuellen Reinigung unterziehen muss, um empfangsbereit für das Licht Gottes zu werden. Eindringlich hebt er hervor, welche Forderungen die geistliche Würde an ihren Träger stellt: „für einen Menschen mit Verstand jedenfalls ist sie wahrlich ein „Knochenfresser“. Die Seelsorge ist für ihn „die Kunst der Künste und die Wissenschaft der Wissenschaften“.

Andererseits aber misst Gregor die Realität an diesem Idealbild und formuliert davon ausgehend eine harsche Kleruskritik, die man vor dem Hintergrund der nachkonstantinischen „Klerikerschwemme“ betrachten muss, als plötzlich allzu viele ungeeignete Interessenten in diesen auf einmal lukrativ erscheinenden „Beruf“ strömten. Für sie findet Gregor harte Worte: „Sie drängen und stoßen sich um den heiligen Tisch, gerade so, als würden sie in diesem Stand nicht ein Vorbild für die Tugend, sondern ein Mittel für den Lebensunterhalt erblicken.“ In seinen Gedichten karikiert Gregor in ähnlicher Weise „aus der Hefe des Volkes zur Bischofswürde beförderte Emporkömmlinge“.

Glaubensfragen lassen sich nicht durch Volksabstimmungen lösen

Haben Gregors Gedanken auch einen Wert für unsere unmittelbare Gegenwart? Eine Kirche, in der ein Vater seinen Sohn zum Priester weiht, wirkt fremdartig. Von einer „Klerikerschwemme“ kann heute sicherlich keine Rede sein, und anders als damals ist die breite Masse des Kirchenvolks an diffizilen theologischen Streitfragen weitestgehend desinteressiert. Und doch geht die Bedeutung der zweiten Rede und der übrigen in dieser Ausgabe zitierten Texte über eine faszinierende Momentaufnahme aus der Kirche des vierten Jahrhunderts hinaus. Denn wenn man die Worte aus einem von Gregors Gedichten liest über „unselige, abscheuliche Produkte des Würfelspiels des Lebens, die, zweideutig im Glauben, sich an den Zeitgeist, nicht an die Gesetze Gottes halten“, dann fallen einem fast automatisch einige amtierende Bischöfe ein, auf die diese Beschreibung passt.

Auch bischöfliche „Schmeichler der Frauen“ gibt es in Zeiten von „Maria 2.0“ nicht wenige, und Kleriker, „die die Klinken der Mächtigen putzen, nicht der Weisen“, sind gerade im deutschen Kirchensystem keine Seltenheit. Wie übrigens auch Gregors an anderer Stelle artikulierte Einsicht, dass sich Glaubensfragen nicht durch Volksabstimmungen lösen lassen, überraschend aktuell ist.

Michael Fiedrowicz (Hrsg.): Gregor von Nazianz, Priestertum und Bischofsamt, Oratio 2, übersetzt von Claudia Barthold. Carthusianus-Verlag, Fohren-Linden 2019, Hardcover, 192 Seiten, ISBN 978-3-941862-28-9, EUR 24,90

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