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Gott will uns ganz

Wider die Weichspüler-Theologie: Ulrich L. Lehner fordert die Rückbesinnung auf ein theologisch korrektes Gottesbild.
Bildliche Darstellung von Gott
Foto: dpa

Nein, Gott ist nicht nett. Er ist nicht der „Gott des Wohlfühlens“ und kein großväterlicher, sündenblinder „Kummerkasten“, zu dem Gesellschaft, Kirche und Theologen ihn vielerorts herabgewürdigt haben. Gott ist wild, er liebt das Abenteuer. Und er will uns radikal verändern. Das sind die Kernaussagen, die Ulrich L. Lehner in seinem jetzt auch ins Deutsche übertragenen Buch „Gott ist unbequem“ facettenreich ausbreitet. Der deutsche Theologe und Historiker lehrt derzeit an der US-amerikanischen Eliteuniversität Notre Dame, Indiana.

Gottesbild als wesentliche Ursache der Kirche

Mit seinem persönlich gehaltenen Buch, das eigene Erfahrungen, etwa mit seinen Studenten, und theologische Gedankengänge vereint, möchte Lehner Zeugnis und Orientierung geben. Es soll zeigen, „wie man aus der Bequemlichkeit unseres Gottesverhältnisses herauskommen und dem wilden Gott begegnen kann“. Der Nettigkeit säuselnden Pseudotheologie, die dem christlichen Glauben die Substanz raubt, setzt Lehner das eigentlich katholische Gottesbild entgegen. Eines Gottes, der die totale Hingabe des Menschen fordert, der uns nicht zu freundlichen Nachbarn, sondern zu Heiligen machen möchte und der sich dabei nicht nach unseren Wünschen richtet.

„So ein Gott ist flexibel und wir biegen ihn uns zurecht, sodass wir unser Leben nicht nach ihm ausrichten müssen.“

Lehner diagnostiziert dem westlichen Christentum einen „weichgespülten“ und „blutleeren“ Glauben an einen selbstkonstruierten Gott. „So ein Gott ist flexibel und wir biegen ihn uns zurecht, sodass wir unser Leben nicht nach ihm ausrichten müssen.“ Dieses Gottesbild ist nicht nur theologisch falsch, es ist auch eine wesentliche Ursache für die Krise der Kirche, die diesen Gott predigt. „Wenn wir nicht wollen, dass die Kirchen noch leerer werden, dann müssen wir den langweiligen Gott gesellschaftlicher Erwartungen aus unseren Seelenwohnungen verbannen“, schreibt Lehner.

Und weiter: „Wenn wir Gott wirklich wollen, dann dürfen wir ihn nicht zu einem zahmen Gott herabwürdigen. Allerdings sollten wir dann auch nicht überrascht sein, wenn uns seine Vorsehung zu Abenteuern führt, die wir uns nie hätten träumen lassen.“ Glauben ist gefährlich, ist Lehner überzeugt, denn Gottes Wege sind nicht unsere. Aber sie sind, hier erinnert Lehner an eine Aussage von C.S. Lewis, „immer gut“.

Lehner kritisiert relativistisches Denken

Gott ist die Liebe, nicht die Nettigkeit. Und wie in der ehelichen Liebe, die letztlich Bild und Teilhabe von und an Gottes Liebe zu jedem Einzelnen ist, will der göttliche Liebhaber uns ganz und für immer. Das hat zwangsläufig Auswirkungen auf das ganz konkrete Leben. Die Liebe dieses Gottes fordert uns. Bis aufs Blut, wie die große Zahl der christlichen Märtyrer es bis heute zeigt. Und sie fordert auch in unserem Alltag eine grundlegende Veränderung: die Abkehr von der Sünde, die Ausrichtung unseres Lebens an Gottes Geboten, das überzeugte Eintreten für die Wahrheit.

Relativismus hat in der Gemeinschaft mit diesem Gott keinen Platz. Lehner kritisiert relativistisches Denken, das eine objektive Wahrheit und universale Werte leugnet, vielmehr als unlogisch: „Jeder Wahrheitsanspruch hat etwas Universales an sich, weil es das Wesen der Wahrheit ist, universal zu sein. Auch der Anspruch, dass Wahrheiten alle nur relativ seien, ist ein solcher Wahrheitsanspruch und daher philosophisch widersprüchlich.“

Neubesinnung auf das Eigentliche des christlichen Glaubens

Eine weitere Ursache für die Misere des christlichen Glaubens in westlichen Gesellschaften sieht Lehner in der Überbetonung von Gefühlen. Ein „kirchlicher Sentimentalismus“ lässt Gott zum Dienstleister in unserer Gefühlswelt werden, die sich um die Achse unserer Empfindungen und Befindlichkeiten dreht. „Ich fühle es, also ist es wahr und richtig“, lautet das Credo dieser so im Emotivismus erzogenen Generation. Gott wird in diesem Kosmos in der Regel nur im emotionalen Krisenfall konsultiert, damit er die Dinge wieder in Ordnung bringt. Dieser „Wellness-Gott“ darf uns bei allen unseren Problemen und Problemchen helfen, an den Kern unserer Existenz lassen wir ihn aber auf keinen Fall heran: „Wir wollen keine Operation an unseren offenen Herzen, sondern lediglich ein Pflaster auf die Seele.“

Die Verharmlosung der Sünde, mangelnder Realismus, ein ausufernder Gesundheitswahn, der sich aus der wachsenden Angst vor Schmerz und Tod speist, sowie existenzielle Langeweile und Sinnlosigkeit sind Symptome dieses falschen Gottesbildes. Lehners Zeugnis ruft in diese Situation hinein zur Neubesinnung auf das Eigentliche des christlichen Glaubens auf: Gott wieder an die erste Stelle unseres Lebens zu stellen und, wie Erich Fromm es formuliert, die „Kunst des Liebens“ zu lernen. Ein ermutigend lebendiger Weckruf an alle Herzen, die die Wohlfühl-Theologie schon in einen dumpfen Glaubensschlummer gesungen hat.

Ulrich L. Lehner: Gott ist unbequem. Eine Herausforderung. Verlag Herder, Freiburg 2019, ISBN 978-3-451-03165-6, 208 Seiten, EUR 16,–

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