Zu den wunderbaren Gaben des Menschen gehört die Kraft zur Errichtung von Säulenhallen, denn in solchen herrscht angenehme Kühle. Zugegeben, an Kühle hat der deutsche Regenherbst keinen Mangel, doch in Rom pflegt die Mittagssonne manchmal auch Ende Oktober noch zu drücken – das gilt besonders, wenn man sich gerade auf harten Pflastersteinen den Quirinalshügel emporgeschleppt hat, auf dem die Säulen der Päpstlichen Universität „Gregoriana“ ihren Sitz haben. In deren kühlem Schutz kamen am vergangenen Freitag busweise gelehrte Leute aus aller Welt zusammen, um über einen ganz bestimmten Gelehrten zu sprechen: John Henry Newman. Der mag zwar schon seit 135 Jahren tot sein, legt aber seit drei Pontifikaten eine sehr lebendige Karriere hin: Benedikt XVI. sprach ihn selig, Franziskus sprach ihn heilig und Leo XIV. erklärte ihn am Samstag zum Kirchenlehrer.
Eine solche Ehrung kommt nur selten vor, und darum ließ die Gregoriana es sich nicht nehmen, in Zusammenarbeit mit einigen Partnern ein Symposium zu Newmans voluminösem Wirken auszurichten. „Wir möchten einen Überblick über die etlichen Themen geben, in denen Newman heute relevant ist“, so Pater Hermann Geissler, Direktor des römischen Zentrums der Newman-Freunde, der die Tagung mitveranstaltete. Damit versprach er nicht zu viel: Ganze 18 Vorträge sind Newmans Wirken an einem einzigen Tag gewidmet worden. Das ambitionierte Programm spiegelt die Vielseitigkeit des Kirchenlehrers und den Umfang seines Werks.
Zu Beginn eröffnete Marcello Kardinal Semeraro, Präfekt des Dikasteriums für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, die Tagung und übermittelte ein persönliches Grußwort des Heiligen Vaters, der die intensive Auseinandersetzung mit dem neuen Kirchenlehrer begrüßte. Anschließend referierte Pater Joseph Carola, Direktor des Instituts für Patristik an der Gregoriana, zu Newmans Rezeption der Kirchenväter: Newman habe erkannt, dass Lehre und Praxis der römischen Kirche im vollen Einklang mit den Kirchenvätern stehen. Vor allem das Studium der Kirchenväter habe zur letztlichen Konversion des Heiligen geführt. Kathleen Dietz von der US-amerikanischen John-Henry-Newman-Gesellschaft stellte in ihrem Vortrag heraus, dass der zentrale Aspekt in Newmans Kirchenverständnis die Unfehlbarkeit der Gesamtkirche sei. Weil sich die Kirche in ihrer Gesamtheit nicht irren könne, müsse sich auch ihr Glaube als ein Glaube der ganzen Kirche entwickeln – ein Universalitätsanspruch, der Newmans Nachdenken über die Entwicklung der Glaubenslehre maßgeblich geprägt habe.
„Wachstum ist das einzige Zeichen des Lebens“
Pater Hermann Geissler vertiefte diesen Gedanken und legte in seinem Vortrag dar, dass Newman im Lehrgebäude des katholischen Glaubens keineswegs eine kalte Säulenhalle gesehen habe, sondern eine lebendige Dynamik. Newman habe erkannt, dass das göttliche Wort kein Sammelsurium von Buchstaben geworden sei, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut – so lebendig, dass er sich das Leben selbst nenne. Als einen Grundsatz dieses Dogmenverständnisses zitierte Geissler aus den Schriften Newmans: „Wachstum ist das einzige Zeichen des Lebens.“ Weil der Glaube lebendig sei, wachse er und entwickle sich stetig weiter.
Pater Nicolas Steeves, Professor für Fundamentaltheologie an der Gregoriana, gab in seinem Vortrag einen Überblick über die verschiedenen Windungen auf Newmans persönlichem Glaubensweg. Dabei betonte er die „kreative Treue“ Newmans, der nicht nur an der Tradition der Väter festgehalten, sondern diese innovativ weiterentwickelt habe. Auch zahlreichen anderen Aspekten, wie Newmans Wirken als Priester, Theologe, Prediger, Seelsorger und Professor, sind kundige Vorträge gewidmet worden. So präsentierte Paul Shrimpton, Newman-Experte und Lehrer in Oxford, Newmans Ausführungen über das Wesen der Universität und die Grundsätze der Bildung. Shrimpton zufolge haben Newmans Bildungsideale nicht nur auf seine Studenten in Oxford gewirkt, sondern auch als Inspiration der studentischen Widerstandsbewegung „Weiße Rose“ gedient.
Indem Papst Leo den heiligen John Henry Newman zum Kirchenlehrer erklärte, stellte er ihn der Christenheit als ein Vorbild vor Augen – ein Vorbild vor allem darin, Menschen zum Glauben zu führen und im Glauben zu unterweisen. Was kann man also von Newman lernen? Pater Geissler antwortet: „Vermutlich würde Newman sagen, dass man selbst von dem Glauben entflammt sein muss, den man in anderen entzünden will. Das eigene Herz muss brennen!“
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