Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Forum

„Ganz leben oder gar nicht!“

Fühlte sich zur Gestaltung der Geschichte verpflichtet: Eine Biografie über Hans Scholl zeigt seinen Weg in den politischen Widerstand. Von Annalia Machuy
ARD zeigt "Sophie Scholl - Die letzten Tage"
Foto: dpa | Hans und seine Schwester verteilen Flugblätter in der Universität München. Szene aus dem Film „Sophie Scholl“.

Am 22. Februar des Jahres 1943 fand ein kurzes, intensives Leben ein gewaltsames und doch heldenhaftes Ende. Zum 75-jährigen Gedenken an die Hinrichtung Hans Scholls legte der evangelische Theologe Robert M. Zoske nun eine umfassende Biografie des jungen Widerstandskämpfers vor. Unter Einbezug bisher unveröffentlichter Dokumente und durch die Anfügung sämtlicher Gedichte und Flugblätter Scholls gibt er tiefgehende Einblicke in die Entwicklung, in das Denken und Fühlen eines außergewöhnlichen jungen Mannes.

Zoske beginnt am Ende. Am Ende eines wechselvollen Weges des Suchens und Strebens, des Fragens und Leidens, des Ringens und Handelns. Nach nur drei beziehungsweise vier Tagen der Haft wurde über Hans Scholl, seine Schwester Sophie und Mitstreiter Christoph Probst wegen „Hochverrats, … Feindbegünstigung und … Wehrkraftzersetzung“ das Todesurteil gefällt und vollstreckt. „Ruhig und gefasst“ seien die Verurteilten in den Tod gegangen, ihren Idealen treu, „klar und tapfer“. Während sich das öffentliche Gedenken zumeist auf Sophie Scholl konzentriert, arbeitet Zoske heraus, dass es im Wesentlichen ihr Bruder Hans war, der die Widerstandsbemühungen vorangetrieben hatte.

Seiner schlussendlich klaren Positionierung gegen das nationalsozialistische Regime geht jedoch eine lange und bisweilen schmerzhafte Entwicklung voraus. Sie war geprägt von der rastlosen Sehnsucht nach Größe, nach Wahrheit, nach Fülle, und kulminierte in seinen letzten Worten: „Es lebe die Freiheit“. In diesem Ausruf verdichtet sich die Intensität und das Streben eines kurzen Lebens, das nicht nur an seinem Ende der Freiheit gewidmet war.

Hans Scholl wurde am 22. September 1918 als eines von sechs (Halb-)Geschwistern im schwäbischen Ingersheim geboren. Die Eltern beschreibt Zoske als „eigenwillige Individualisten, die eher gegen als mit dem Strom schwammen“. Beide standen dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber – eine Haltung, die auch in ihrer protestantischen Religiosität wurzelte. Die elterliche Erziehung zu selbstständigem Denken und christlichem Glauben prägte Hans sein Leben lang. Er selbst sei als Kind eher sanft und „sehr mitteilungsbedürftig“ gewesen, stets auf „Versöhnung und Gerechtigkeit“ bedacht. Seine Schwester Inge hatte bei ihm „den Eindruck eines zwar sehr feinen und zartgliedrigen, aber zähen Willens“. Diese Einschätzung scheint in der weiteren Entwicklung von Hans bestätigt zu werden, zeigte sich in seinem Wesen doch eine fruchtbare Mischung von gedanklicher Tiefe und tatkräftiger Stärke.

Hans Scholls Suche nach Abenteuer führte ihn zunächst in die Hitlerjugend. Obwohl die Eltern die Begeisterung von Inge und Hans für Hitler nicht teilten, konnte Hans sich gegenüber seinem Vater durchsetzen und stieg bis zum Fähnleinführer auf. Die Zeit von 1933 bis 1937 war bei Hans durch „eine Mischung aus elterlich beeinflussten Ideen, Abenteuerromantik und Männerbündelei“ geprägt.

Für sein Land, die Freiheit und die Gerechtigkeit

In der Führung seiner Jungengruppe „Trabanten“ wurde Scholl dabei von den Ideen der „deutschen autonomen jungenschaft“ beeinflusst, die sich vor allem der Freiheit verpflichtet sah. Seine politische Haltung war dabei „deutsch-national“, als nationalsozialistisch-ergeben kann sie nicht bezeichnet werden. Scholls Liebe zum bündischen Leben ging einher mit hohen Idealen: „Und wir wollen doch Flamme sein. Unsere Kraft muss federnder Stahl sein, unsere Seele trockene Weißglut“, schreibt er. Er sah sich und seine Gruppe als Teil einer elitären Bewegung, die zu einer revolutionär-dynamischen Erneuerung der deutschen Kultur notwendig sei.

In die Zeit seiner jugendbündischen Aktivität fallen auch die homosexuellen Kontakte zu vor allem einem seiner Gruppenmitglieder. Sie sind Ausdruck einer bisweilen stark unausgeglichenen Persönlichkeit und zogen für Hans „die schwerste Krise seines noch jungen Lebens“ nach sich. Er wurde der Homosexualität, des sexuellen Missbrauchs Abhängiger und der illegalen Jugendarbeit angeklagt und Mitte Dezember 1937 siebzehn Tage in Haft genommen. Die strafrechtliche Verfolgung dauerte an bis Juni des folgenden Jahres und bedeutete für Hans Scholl eine schmerzhafte Zeit. Sie trug zu seiner zunehmenden Distanzierung, ja endgültigen Abwendung von nationalsozialistischen Idealen bei, deren Radikalität ihn zuvor noch fasziniert hatte.

Sein Weg aus der Krise führte ihn nach Ende der zweijährigen Wehrpflicht und der Ausbildung zum Sanitäter zum Medizinstudium nach München. Hier entwickelte sich in ihm mehr und mehr die Haltung, die ihn in letzter Konsequenz das Leben kosten sollte. Er beschäftigte sich intensiv mit Nietzsche, pflegte einzelne enge Freundschaften, verliebte sich mehrfach, doch nie dauerhaft. Den Krieg nahm er zunächst als „politische und persönliche Chance“ wahr, bald schon jedoch zeigte er sich desillusioniert. Die Auseinandersetzung mit dem Religionsphilosophen Nikolai Berdjajew, der Kontakt zu Carl Muth und Theodor Haecker, die Bewunderung für Thomas Mann und die Lektüre einiger Werke Paul Claudels waren weitere Bausteine für seine Überzeugung, dass ein aktiver Widerstand gegen das NS-Regime notwendig sei. Auch seine Religiosität, die zwar schon in den Jahren zuvor immer wieder in von ihm verfassten Texten zum Ausdruck kam, fand in dieser Zeit zu neuer Tiefe und Intensität. Am Beginn seiner konkreten regimefeindlichen Aktionen steht so zunächst auch die Frage, ob ein solcher Widerstand nicht christlichen Prinzipien entgegenstehe. Scholl kam jedoch zum Schluss, dass gerade der christlich-freie Mensch zur aktiven Gestaltung der Geschichte verpflichtet sei und Verantwortung übernehmen müsse. „Als ob der Friede keine Tat wäre“, notierte er mit einem Verweis auf das zwölfte Kapitel des Lukasevangeliums.

Seit Sommer 1941 verband Hans Scholl eine enge Freundschaft mit Alexander Schmorell. Gemeinsam entschlossen sich die beiden jungen Männer, politisch aktiv zu werden und entwarfen die ersten Flugblätter. Als Verbündete konnten sie unter anderem Hans' Schwester Sophie und den jungen, musisch gebildeten Familienvater Christoph Probst gewinnen. Eine Widerstandsgruppe unter dem Namen „Weiße Rose“ hat es nie gegeben. Der politisch aktive Freundeskreis nutzte die metaphorisch anmutende Formulierung aus verschiedenen Gründen zur Betitelung der ersten vier Flugblätter, die beiden folgenden Texte trugen jedoch bereits andere Überschriften.

Dass ihre widerständische Aktivität sie das Leben kosten konnte, dessen waren sich Hans Scholl und seine Mitstreiter bewusst. Stets wollte Hans „etwas Großes werden für die Menschheit“. In der Hingabe seines Lebens für die Wahrheit, für die Gerechtigkeit, für sein Land und für die Freiheit hat diese Sehnsucht eine tragische Erfüllung gefunden. Der Versuch, Scholls Persönlichkeit auf seine letzten Monate zu reduzieren, würde jedoch seinem „komplexen und komplizierten Wesen“ und seiner vielschichtigen Entwicklung nicht gerecht werden. Das zeigt nicht zuletzt Zoskes detaillierte und spannende Biografie.

Robert M. Zoske: Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose. C.H.Beck Verlag, München 2018, 368 Seiten, ISBN 978-3-406-70025-5, EUR 26,95

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe

Themen & Autoren
Alexander Schmorell Christoph Probst Evangelische Theologen Friedrich Nietzsche Hans Scholl Paul Claudel Sophie Scholl Theodor Haecker Thomas Mann Totengedenken

Weitere Artikel

In seinem neuen Buch „Die Weiße Rose“ reißt Robert M. Zoske konfessionelle Gräben auf, die die Widerstandsbewegung längst überwunden hatte .
12.04.2023, 07 Uhr
Jakob Knab

Kirche

In der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) ist ein Streit um das Pfarramt für Frauen entbrannt. Im äußersten Fall droht die Spaltung.
22.04.2024, 16 Uhr
Vorabmeldung