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Georg Gänswein: Ein katholischer Realist

Erzbischof Georg Gänswein legt mit "Vom Nine-Eleven unseres Glaubens" sein erstes Buch vor.
Erzbischof Georg Gänswein  ist mehr als nur ein adretter Vatikan-Manager
Foto: dpa | Schwingt das Schwert des Geistes: Erzbischof Georg Gänswein ist mehr als nur ein adretter Vatikan-Manager.

Am 17. Oktober ist es soweit: Erzbischof Georg Gänswein kommt nach Deutschland, um sein soeben erschienenes, erstes Buch „Vom Nine-Eleven unseres Glaubens“ vorzustellen – im Rittersaal des Deutschen Ordens in Frankfurt am Main. Zusammen mit dem äthiopischen Prinzen Asfa-Wossen Asserate, der zu dem 214 Seiten starken Werk das Vorwort verfasst hat. Ein spannendes Ereignis in einem für die Kirche besonders spannenden Monat.

Dass das Katholisch-Sein alles andere als einschläfernd ist, wird auch in Erzbischof Gänsweins Buch selbst deutlich, das achtzehn Vorträge, Reden und Predigten des Präfekten des Päpstlichen Hauses versammelt, die im Zeitraum 2014 bis 2019 gehalten wurden. Mal sind es luzide Gedanken zum Thema Neuevangelisierung, Priesterdienst und Heiligsein, bei denen Gänsweins stilistische Begabung aufleuchtet, mal geht der Sohn eines Schmieds aus dem Schwarzwald und promovierte Kirchenrechtler, den die Welt gleichzeitig mit Benedikt XVI. und – aufgrund seines einnehmenden Äußeren – mit einem gewissen Hollywood-Schauspieler assoziiert, gekonnt auf historische und juristische Fragen ein.

Stets merkt man, was Gänswein, der ursprünglich Kartäuser werden wollte, am meisten fasziniert: die letzten Dinge, das ewige Leben, aber eben auch das „Letzte Gericht“. „Die Kirche möchte und darf nicht nur die diesseitigen materiellen Bedürfnisse des Menschen befriedigen. Sie ist nicht nur Caritas, auch wenn diese und viele weitere hervorragende katholische Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitswesen selbstverständlich zur Kirche gehören. Die Kirche an sich, als Ganzes, ist aber für mehr verantwortlich, zuerst und zuletzt für die Seelen und deren Frieden mit sich und Gott. Die materiellen Belange sind dagegen relativ und ändern sich beständig.“

Gänswein hat bei den Papst-Reden gut zugehört

Dass sich auch in der Kirche im deutsch-sprachigen Raum einiges ändern muss und ändern wird, verhehlt Georg Gänswein nicht; als besonders guter Schüler des emeritierten Papstes hat er bei der Freiburger Entweltlichungsrede natürlich genau zugehört. „Das Stichwort Entweltlichung fordert zu einer intensiven Auseinandersetzung über die Qualität der Krise heraus, die wir heute in der Kirche erleben. Wie jeder Arzt nur dann hilfreiche Therapieanweisungen formulieren kann, wenn eine klare Diagnose gegeben ist, so können auch in der Kirche nur dann gemeinsame Wege in die Zukunft beschritten werden, wenn man sich über die Diagnose hinsichtlich der gefährlichen Infekte im Klaren ist.“ Worte, die beim Inaugurationsvortrag zur Eröffnung des akademischen Jahres der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI., Heiligenkreuz, im Oktober 2015 gesprochen wurden und immer noch aktuell sind. Vielleicht sogar noch aktueller angesichts synodaler Irrungen und Wirrungen?

Natürlich ist es bei einem Buch wie diesem ganz normal, dass immer mal wieder der große deutsche Papst nicht nur zitiert, sondern auch erklärt und erläutert wird. Persönlich, aus nächster Nähe und theologisch. Schließlich ist Erzbischof Georg Gänswein seit 2013 als Diener zweier Päpste im Einsatz. Wer von den beiden die Kirche führt, bedarf dabei eigentlich keiner Diskussion. Trotzdem stellt Gänswein, weil im katholischen Raum gern spekuliert und gerätselt wird, im Rahmen eines EWTN-Interviews, welches das Buch ebenfalls schmückt, klar: „Um jeden Zweifel auszuräumen und jeglichem Missverständnis vorzubeugen, ist festzuhalten, dass es seit der Wahl am 13. März 2013 nicht zwei Päpste gibt, sondern nur einen, und der heißt Franziskus. Ihm allein kommt die amtliche Vollmacht für die Leitung der Kirche zu. Aber im geistlichen Dienst des Gebets und der Hingabe bleibt Benedikt sozusagen im engeren Bereich des heiligen Petrus. Darum hat Benedikt XVI. weder den weißen Talar noch seinen Namen abgelegt.“ Und was hat es mit „9/11“ auf sich, dem Datum, das dem Buch seinen Titel gibt? Georg Gänswein benutzte diese Metapher bei der Vorstellung des Buches „Die Benedikt-Option“ von Rod Dreher im italienischen Parlament in Rom, die an einem 11. September stattfand und zeitlich mit neuen Enthüllungen zum Thema sexueller Missbrauch in der Kirche zusammenfiel. „Keiner hat die Kirche Christi (bisher) mit vollbesetzten Passagierflugzeugen angegriffen. (…) Und dennoch: Die Nachrichten, die uns in letzter Zeit aus Amerika darüber Auskunft erteilen, wie viele Seelen von Priestern der katholischen Kirche unheilbar und tödlich verletzt worden sind, vermitteln eine schlimmere Botschaft, als seien alle Kirchen Pennsylvanias auf einmal eingestürzt ...“ Ein passendes Bild: Die geweihten Sexual-Täter, offensichtlich agierten sie wie Schläfer, die auch jahrelang im Innern des Angriffs-Objektes ihr dunkles Geschäft planen und betreiben.

Doch woher kann ein leidgeprüfter europäischer Katholik in diesen – kirchen-intern und -extern – so fordernden Zeiten dann noch Hoffnung beziehen? Vom Blick zurück, allein auf Europas Tradition und Geschichte, das weiß der kluge Sekretär Duplex, sicherlich nicht. Rechtspositivismus und Relativismus sind auch keine tragbare Lösung. „Ebenso wenig wie menschliches Leben ohne das natürliche Sittengesetz und die Verankerung in der Wahrheit gelingen kann, können die Existenz von Welt und Mensch ohne Gott gedacht werden. Es geht also darum, der europäischen Gesellschaft von heute und morgen ihren wesentlichen Transzendenzbezug neu bewusst zu machen.“

Und noch deutlicher: „Denn wenn die Staaten des Westens heute nach der Regie global agierender Pressure-Groups reihenweise das Naturrecht aushebeln und selbst über die Natur des Menschen befinden wollen (wie in den höchst ideologischen Programmen des Gender-Mainstreaming), dann ist dies mehr als nur ein fataler Rückfall in die Herrschaft der Willkür. Es ist vor allem eine neue Unterwerfung vor jener totalitären Versuchung, die unsere Geschichte immer wie ein Schatten begleitet hat.“

Dass Gänswein solche unbequemen, aber nötigen Gedanken nicht nur fern der Heimat, im turbulenten Rom geäußert hat, sondern auch bei einer Vortragsreihe des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe, ehrt ihn und belegt seinen Mut. „Die Bundesrepublik ist dabei, sich auf ihrem Weg durch die Geschichte, siebzig Jahre nach ihrer Gründung, von der Grundierung ihres ursprünglichen christlich-humanistischen Weltbildes und vom Naturrecht zu verabschieden. An dieser Weggabelung gehen Kirche und Staat nunmehr getrennte und eigene Wege. Es ist ein Scheideweg. Das hat die katholische Kirche verstanden. Dass sie dabei nicht anders kann, als am Naturrecht und an ihrer christlichen Sicht auf den Menschen festzuhalten, liegt auf der Hand. Wir dürfen und können die Differenzen nicht schönreden.“ Mögen auch viele in Deutschland für sich einen klaren katholischen Kurs beanspruchen, so klar wie der Naturrechts-Liebhaber Gänswein, der einen durchbohrten Drachen im bischöflichen Wappen trägt, dürften im katholischen Establishment deutscher Zunge dann doch nur wenige auftreten – zumal an solch exponierter Stelle. Sind es die väterlichen Vorbilder, sei es im Schwarzwald oder in Rom, die dem 63-Jährigen zu derart von fundierter Bildung beflügelten Schwerthieben die Kraft verliehen haben? Ist es die Liebe zur Wahrheit, die sich wie ein Leitmotiv durch die Texte des Buches zieht? Oder ist er einfach nur ein katholischer Realist? An anderer Stelle schreibt Erzbischof Gänswein: „... in unserem kirchenpolitischen und theologischen Hickhack, in Prozessoptimierungsbemühungen und heißblütigen Debatten zu allerlei Streitthemen oder in den immer neuen Wortfindungsversuchen, die bei der Lösung turmhoher Probleme helfen sollen, darf keiner sich mehr wundern, dass sich unsere Gotteshäuser so radikal entleeren, wie wir es in unserer Zeit erleben.“ In Frankfurt wird das Haus sicherlich voll sein.

Georg Gänswein: Vom Nine-Eleven unseres Glaubens. fe-Medienverlag, 2019, 214 Seiten, ISBN 978-3-86357-244-0, EUR 17, 80

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