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Die reinigende Nähe zum Allerheiligsten suchen

Das Schauen auf Christus bewirkt eine wachsende Befreiung von Verschlossenheit in sich selbst.
Reinigende Nähe zum Allerheiligsten
Foto: Andreas Walch

Zwischen der Liturgie als Feier der Kirche und der geistlichen Aneignung des gefeierten Mysteriums im persönlichen Gebet, also zwischen „Essen“ und „Schauen“, besteht ein tiefer innerer Zusammenhang. Ähnlich will auch das im Gottesdienst hörend vernommene Wort Gottes durch das Nachsinnen und meditierende „Wiederkauen“ tiefer in Herz und Leben des Gläubigen eingehen – wodurch das „Ohr“ zunehmend feiner wird. Für die Kirchenväter war die Feier der „Mysterien Christi“ in der Liturgie die Quelle „mystischer Erkenntnis“, nämlich "der Liebe Christi, die alles Sinnen und Denken übersteigt“ (Epheser 3,19). Umgekehrt bildet das betende Nachsinnen die Voraussetzung für die lebendige Feier, wenn diese nicht im Ritualismus erstarren soll. Die Feier der Eucharistie ist Vereinigung mit Christus, im Heiligen Geist hineingenommen werden in sein Gebet, das nach seinem Willen auch das unsere werden soll. Solche Kommunion vollzieht sich nicht einfach punktuell, sondern als Begegnung, die auf bleibende Verbundenheit zielt, wie auch jede wirklich personale Begegnung danach verlangt, im Inneren der Person weiterzuleben.

Im Fall des Altarssakraments muss beides, „Schauen“ ebenso wie „Essen“, eine personale Begegnung mit Christus sein. Nicht ohne Grund gehört Psalm 34 zu den frühesten Kommuniongesängen der Alten Kirche: „Kostet und seht, wie gut (oder: süß) der Herr ist“. „Essen“ heißt hier „empfangen“, „schauen“ heißt „erkennen“:  Schauen mit den Augen des Glaubens, Essen mit dem Verlangen von Liebe und Hoffnung.

„Der Schauer, von dem in den östlichen Liturgien so oft die Rede ist,
ist nicht nur ein Erschrecken vor der unsichtbaren Majestät,
sondern vor allem vor der unbegreiflichen Demut Christi“

Große Persönlichkeiten der katholischen Reform im 16. Jahrhundert maßen der Vertiefung des eucharistischen Glaubens größtes Gewicht für eine neue Evangelisierung bei, etwa die Kirchenlehrer Laurentius von Brindisi und Juan de Ávila oder auch die frühen Jesuiten. Gewiss, das Sakrament kommt unabhängig vom Glauben oder der Glaubenskraft des Einzelnen zustande, aber der fruchtbare Empfang wird durch Gleichgültigkeit oder Abstumpfung behindert. Wenn jemand sagt, er bleibe beim Sakramentenempfang kalt und habe nichts davon, dann rät ihm Maestro Ávila: Er solle sich fragen, ob er vielleicht „esse, ohne zu kauen“? Das heißt, den Ritus vollziehe, aber weder vorher an Christus denke, noch sich Zeit nehme, die Kommunion nachklingen zu lassen, sondern "gleich darauf wieder auf dem Marktplatz bei allerlei Geschäften“ sei! In diesem Fall bleiben Gottesdienst und Sakramentenempfang eine „Insel“, ohne Zusammenhang mit dem täglichen Leben. Es braucht Zeit, um die Kommunion als persönliche Zuwendung Christi zu erfassen, Zeit auch dafür, aufzunehmen, was in jeder Eucharistiefeier geschieht.

Eucharistische Anbetung im weiteren Sinn, als Gebet vor dem Tabernakel oder der ausgesetzten Hostie, umfasst daher alle Dimensionen, welche der Eucharistiefeier selbst eigen sind: Reinigung beziehungsweise Verfeinerung des Gewissens, Lobpreis und Dank, Fürbitte, Anbetung und Vereinigung, das heißt geistliche Kommunion. Man könnte zum Beispiel einmal in Stille vor dem Tabernakel den Text eines Hochgebetes meditieren.

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Klarheit in schwierigen Fragen erlangen

Die Erfahrung der reinigenden Nähe wie des Staunens über Gottes Heilsplan wirkt wachsende Befreiung von einer gewissen Verschlossenheit in sich selbst. Edith Stein war überzeugt, dass dieses Kommen zum "besten Freund, der uns erwartet, um all unsere Sorgen mit uns zu tragen", Klarheit in schwierigen Fragen und Mut für die erforderlichen Schritte auf dem Lebensweg verleihe. Ja, "wer es ausprobiert hat", der werde bestätigen, dass das tiefere Verstehen der Heiligen Schrift und der Glaubensinhalte am häufigsten in der Betrachtung vor dem Tabernakel geschenkt werde.

Mit der Zeit werde man freilich nicht nur mit den eigenen Sorgen kommen, sondern in sein Beten die Fürbitte aufnehmen – wie es der Eucharistiefeier entspricht – für die Anwesenden und die Abwesenden, für die ganze Welt. „Eucharistisch leben heißt ganz von selbst aus der Enge des eigenen Lebens herausgehen […]. Wer den Herrn in seinem Haus aufsucht, wird ihn ja nicht immer nur mit sich selbst und seinen Angelegenheiten beschäftigen wollen. Er wird anfangen, sich für die Angelegenheiten des Herrn zu interessieren.“

Die Gemeinschaft geht über das Ende der Messe hinaus

Denn zu kommunizieren bedeutet nicht nur mit Christus vereinigt zu werden, sondern auch mit all denen, die zu seinem „mystischen Leib“ gehören. Diese Gemeinschaft ist nach der Messfeier nicht zu Ende. Darum ist das Gebet in der eucharistischen Gegenwart zwar ganz persönlich, aber nicht „privat“ – ebenso wie der Empfang des Sakraments ganz persönlich vollzogen wird, aber nur möglich ist, weil es die Kirche gibt.

Weil die Sehnsucht Christi das Heil für alle Menschen will und die Kirche Zeichen und Werkzeug des Heiles ist, weitet sich die eucharistische Fürbitte noch einmal: „Dieses Opfer unserer Versöhnung bringe der ganzen Welt Frieden und Heil“, heißt es im Dritten Hochgebet.

Barmherzigkeit öffnet das Herz für Werke der Liebe

Da die Fürbitte selbst ein Tun der Barmherzigkeit ist – das Werk der geistlichen Barmherzigkeit schlechthin, das den Beter besonders an Christus selbst angleicht, der „immerdar für uns eintritt“ –, öffnet sie auch das Herz für die übrigen Werke der Liebe. Dies wird gerade an Heiligen wie Mutter Teresa von Kalkutta oder Charles de Foucauld sichtbar.

Anbetung im eigentlichen Sinn bezeichnet die Haltung der Hingabe, die ein Geschöpf nur Gott entgegenbringt: Aufgrund seiner Herrlichkeit und seiner unverletzlichen Heiligkeit gebührt ihm nicht nur Unterwerfung, sondern eben „Anbetung“: die Anerkennung, dass Gott allein der Liebe, der Ehrfurcht und der Hingabe würdig ist. Anbetung ist im Tiefsten Übereignung der eigenen Person und damit Vereinigung. Im Fall der eucharistischen Anbetung kommt noch eine besondere Klangfarbe hinzu. Der Schauer, von dem in den östlichen Liturgien so oft die Rede ist, ist nicht nur ein Erschrecken vor der unsichtbaren Majestät, sondern vor allem vor der unbegreiflichen Demut Christi. „Seht die Demut Gottes!“, rief Franziskus seinen Brüdern zu, als er sie zum ehrfürchtigen Umgang mit dem Sakrament mahnen wollte.

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Christus ist gegenwärtig

Die Gegenwart, die im Sakrament vor Augen steht, ist nicht Ergebnis der Konzentration des Denkens oder der Anstrengung der Vorstellungskraft. Sie ist „wirklich“, in ihrer sichtbaren Dimension „gegeben“. Für den jetzigen Zustand ist es der Glaube, der in den „Zeichen“ die Wirklichkeit erkennen lässt. Dieses Schauen richtet sich auf die personale Gegenwart Christi: das „Angesicht“, das heißt die zugewandte Seite der Person. Damit ist eingeschlossen, sich selbst auch anschauen zu lassen. Ebenso bedeutet das Aufnehmen der sakramentalen Speise: selbst aufgenommen zu werden.

Dass Christus unter den Menschen wohnt, „hier“ wirklich gegenwärtig ist, bedeutet umgekehrt, dass die Gläubigen schon jetzt, während sie noch Pilger sind, bei ihm wohnen können: „Sagen wir es uns wohl jedes Mal, wenn wir eine Kirche betreten, was es für ein unfassliches Geschenk ist, dass wir zum Herrn kommen und mit ihm als mit unserem treuesten und liebevollsten Freund sprechen dürfen? Ach, wenn unser eucharistischer Glaube lebendig wäre, wir könnten uns nirgends auf der Welt fremd und einsam fühlen. Und wir könnten jedem unserer Kinder eine Heimat schenken fürs ganze Leben“, schrieb Edith Stein.

Besondere Anziehung für abgekämpfte Menschen

Dass man vor diese Gegenwart treten kann, ohne eine „Leistung“ bringen zu müssen, einfach um da zu sein, und sich erwartet zu wissen – weil Er sich nicht entfernt, gleichgültig wie wenig Sammlung der Beter mitbringt –, darin besteht wohl die besondere Anziehungskraft der eucharistischen Gegenwart, besonders für alle abgekämpften Menschen. Diese Gegenwart strahlt bergende Ruhe und Kräftigung aus, das bezeugen aus eigener Erfahrung so verschiedene Persönlichkeiten wie Edith Stein, Romano Guardini und Teresa von Ávila.

In ähnlicher Weise hat dies auch Joseph Kardinal Ratzinger anlässlich einer Predigt ins Wort gefasst: „Eucharistie bedeutet: Gott hat geantwortet […]. Wenn wir in der eucharistischen Gegenwart beten, sind wir nie allein. Dann betet immer die ganze eucharistiefeiernde Kirche mit. Dann beten wir im Raum der Erhörung, weil wir im Raum von Tod und Auferstehung beten, also dort, wo die eigentliche Bitte in all unseren Bitten erhört ist: die Bitte um die Liebe, die stärker ist als der Tod. […] Solches Beten müssen wir neu suchen.“

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