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Wo Kirche sich von einer anderen Seite zeigt

Ein gelungenes Experiment: Hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion im vollbesetzten Bonner Münster zum „Assistierten Suizid“ – Ein Bericht.
Podiumsdiskussion im Bonner Münster
Foto: Stadtdekanat Bonn/Westhoff | Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabio, der ebenfalls an der Universität Bonn lehrt, wies daraufhin, dass eine Gesellschaft Rahmenbedingungen brauche, um mit einem Recht, wie dem sich das ...

Platznot in einer Basilika, noch dazu in deutschen Landen, ist ein selten anzutreffendes Phänomen. Am Montagabend konnte es im Bonner Münster beobachtet werden. Schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn waren die Kirchenbänke vollbesetzt und dennoch strömten die Menschen weiter in Scharen in die Kirche. Eilig stellten Helfer Stühle in der Apsis auf. Als die ausgingen, ging es mit Hockern weiter. Es half. Reichen tat es nicht. Am Ende mussten Treppenstufen als Sitzgelegenheit und Säulen als Rückenstützen herhalten.

1.000 Teilnehmer verfolgten den Abend: 750 waren live dabei

Rund 750 Menschen, hieß es später, hätten an diesem Abend den Weg in die Münsterbasilika gefunden. Rund 250 weitere hätten sich per Live-Stream zugeschaltet und die Podiumsdiskussion verfolgt, zu der die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn, das katholische Bildungswerk und das Stadtdekanat Bonn in die Stadtkirche geladen hatten. Die hochkarätig besetzte und von „Phoenix“-Redakteur Thomas Bade mit Umsicht, Feingefühl und einer dem Thema angemessenen Ernsthaftigkeit moderierte Veranstaltung stand unter der Überschrift: „Assistierter Suizid – Worum es geht und was auf dem Spiel steht“.

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Zuvor hatte Stadtdechant Wolfgang Picken die Menschen begrüßt: „Sie erleben heute Abend eine besondere Premiere“, so Picken. Es sei das „erste Mal“, dass „das Podium mitten in der Münsterbasilika“ stehe. Picken: „Wir haben uns dazu entschieden, ethisch relevante Fragestellungen ganz bewusst in die Mitte dieser Kirche zu setzen, damit Dialog in unserer Gesellschaft möglich wird und auch wir uns als Christen und als Kirche in gesellschaftliche Debatten kompetent eingeben. Für den heutigen Abend haben wird das Thema ,Assistierter Suizid‘ ausgewählt. Eine schwierige Fragestellung, die aber hohe gesellschaftlich Aktualität besitzt.“ Und noch eine Botschaft hatte der von dem Ansturm der Besucher selbst überraschte Stadtdechant parat: Für den Fall, dass das Thema bei dem einen oder anderen Zuhörer Gesprächsbedarf auslöse, stünden im Anschluss „für jeden von Ihnen, der das Bedürfnis hat, persönlich ein Gespräch zu führen“, Seelsorger zur Verfügung.

Woopen: Gesetzgeber schafft eine „paradoxe Situation“

Auf dem Podium ging es gleich zur Sache. Den Anfang machte die Medizinethikerin Christiane Woopen, ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats und erste Inhaberin der 2021 neu geschaffenen Heinrich-Hertz-Professur für „Life Ethics“ an der Universität Bonn. Mit Blick auf die bereits vom Deutschen Bundestag in Erster Lesung beratenen Gesetzesentwürfe zur gesetzlichen Neuregelung der Suizidhilfe sprach Woopen von einer „paradoxen Situation“. „Der Gesetzgeber möchte verhindern, dass der Suizid zu einem Normalfall wird.“ In diesem Anliegen könne sie dem Gesetzgeber durchaus „beipflichten“. Übersehen werde aber, dass eine Gesetzgebung, die genau festlege, ab wann ein assistierter Suizid „rechtlich vertretbar“ sei, damit zugleich definiere, was künftig als „Normalfall“ zu gelten haben. Auf diese Weise rufe der Gesetzgeber also „durch die Regulierung genau das hervor, was er eigentlich verhindern möchte“. Das sei eine „paradoxe Situation, die so in der Gesellschaft noch nicht ausreichend diskutiert wird“, zeigte sich Woopen überzeugt.

Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabio, der ebenfalls an der Universität Bonn lehrt, wies daraufhin, dass eine Gesellschaft Rahmenbedingungen brauche, um mit einem Recht, wie dem sich das Leben zu nehmen, umgehen zu können. Werde die Beihilfe zum Suizid „geschäftsmäßig“ angeboten, bestehe die Gefahr, „dass dabei die Autonomie des Einzelnen unter die Räder kommt“. Jede Selbsttötung sei schließlich ein „Grenzfall der menschlichen Existenz“ und „nicht der Normalfall, wie wir Freiheit ausüben“. Deshalb habe die Rechtsordnung, die das Rechtsgut „Leben“ schützen müsse, auch die Pflicht die „Autonomie bis an den Schluss zu wahren“. Der Staatsrechtler verwies auch auf die Erfahrungen, die die Niederland mit ihrer „stark liberalisierten“ Gesetzgebung in den vergangenen 20 Jahren habe und konstatierte: „Die Erfahrung sind nicht durchweg positiv.“ Dort gäbe es Fälle, bei denen Menschen „von nahen Verwandten in die Richtung der Selbsttötung“ gedrängt worden seien. Auch gäbe es „Scham“, anderen „zur Last zu fallen, die einen gesellschaftlichen Druck aufbauen können, ,Ja‘ zur assistierten Selbsttötung zu sagen.

Vereinsamung ist einer der Hauptfaktoren für Suizidwünsche

Lukas Radbruch, Ärztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin der Universität Bonn, sagte, er stelle immer wieder fest, dass Menschen, die einen Sterbewunsch artikulierten, „nicht alle Informationen haben“ und nicht wüssten, „welche Symptome man lindern kann und was es noch an alternativen Möglichkeiten gibt“. Auch seien Suizidwüsche schwankend, oft von einem auf den anderen Tag. Die Palliativmedizin, die „das Leben weder verkürzen noch verlängern“ wolle, habe „viele Optionen, die vorher gezogen werden könnten.“ Zu seinem Bild als Arzt passe es ohnehin nicht, „eine tödliche Medikation zu verabreichen. Das möchte ich nicht“, sagte Radbruch.

Stefan Buchs, Mitglied der Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenzen und Bonner Hochschulpfarrer, wies daraufhin, dass hinter einen Suizidwunsch oft gar nicht der Todeswunsch stehe, „sondern der Wunsch, nicht mehr so zu leben, wie ich jetzt lebe.“ Einer der Hauptfaktoren sei „Vereinsamung“. Der könne jeder einzelne, aber auch eine Gemeinschaft wie die Kirche entgegenwirken.

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