Der Lebensweg von Joschka Fischer wird gerne als Idealbild einer politischen Läuterungsgeschichte verklärt. Mitglied in der linksradikalen, militanten Gruppe „Revolutionärer Kampf“ und mit der sogenannten „Putztruppe“ mittendrin in den Straßenschlachten mit der Polizei, zog der Grüne zwei Jahrzehnte später als Minister in das Auswärtige Amt ein.
Egal, ob man dieser Geschichte nun in allen Einzelheiten zustimmen mag, sie steht jedenfalls für einen Ansatz, der auch beim Umgang mit der AfD eine Rolle spielen könnte. Als die Grünen 1983 in den Bundestag eingezogen sind, waren sie die Schmuddelkinder des Parlamentes. Für viele ihrer Kollegen waren die Männer mit den langen Bärten und die Frauen, die im Plenarsaal strickten, ein Ärgernis. Ein Bürgersschreck – durchaus auch für Sozialdemokraten. Holger Börner, ein Sozi-Haudegen von altem Schrot und Korn, erklärte damals im Streit um die Startbahn West in Frankfurt, er als ehemaliger Bauarbeiter würde am liebsten die militanten Flughafen-Gegner mit der Dachlatte vertreiben.
Eine radikale Vergangenheit wäre kein Hindernis
Die Grünen waren aus dieser Sichtweise vielleicht nicht – so ein heute gerne benutzter Begriff – „linksgrün versifft“, aber „grün versifft“ bestimmt. Und doch bildete genau dieser Börner, der das vorher natürlich lauthals ausgeschlossen hatte, in Hessen 1985 die erste rot-grüne Landesregierung. Das Bündnis hielt zwar nicht lange, aber es ließ Joschka Fischer als ersten grünen Minister in die Geschichte eingehen, Vereidigung in Turnschuhen und Jeans inklusive. Seither ist er eine Art Ikone der Geschichte der Bundesrepublik. Fischer konnte sich so, freilich mit vielen Wendungen, zum Übervater der Realos in seiner Partei mausern. Und auch politische Gegner erkennen an, dass er seinen Job als Außenminister gut gemacht und Deutschland nicht blamiert hat. Heute gilt er als Elder Statesman.

Wo ist also der Joschka Fischer der AfD? Dass er auf eine radikale Vergangenheit zurückblicken kann, wäre kein Hindernis. Wichtiger wäre es, dass er über einen starken Machtsinn verfügt. Genau der war es nämlich, der Fischer zum Realpolitiker gemacht hat. Er wollte um jeden Preis mitregieren. Natürlich kann diese Fischer-Rolle auch eine Frau übernehmen. Mancher denkt wohl, dass darin die historische Aufgabe von Alice Weidel liegt.
Kann Maximilian Krah die Rolle ausfüllen?
Fischer strahlte auch eine Faszination auf seine politischen Gegner aus. Seine Rhetorik war leidenschaftlich, er hatte auch keine Angst vor Autoritäten (legendär der Ausspruch gegenüber Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen von der CSU: „Mit Verlaub Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“ Und trotzdem nahm man ihm solche Flegeleien nicht übel. Er war eher der intelligente Klassenclown, der etwas Stimmung in ein Parlament voller grauer Mäuse gebracht hat. Natürlich kam ihm zupass, dass die auch damals eher schon gegen links tendierenden Medien, vor allem das Fernsehen, an ihm einen Narren gefressen hatten. Aber auch wenn man das in Rechnung stellt: Witzig, ironisch, charmant, alles das sind keine Eigenschaften, die mit Weidel in Verbindung gebracht werden.
Der einzige in der aktuellen Fraktion, der zumindest von den Talenten her mit Joschka Fischer wohl mithalten könnte, ist Maximilian Krah. Der ist intelligent, hat Witz und auch analytische Fähigkeiten. Er ist aber auch der Vordenker gerade nicht eines realpolitischen Flügels, sondern des ideologischen, pro-russischen und anti-westlichen Teils. Wenn man wissen will, wo das größte Problem der AfD liegt, vielleicht gerade in diesem Fischer-Dilemma. Die Partei verfügt nicht über das geeignete Personal, das einen Fischer-Weg beschreiten könnte. Das kann einen nicht wirklich freuen. Denn für einen funktionierenden Parlamentarismus wäre ein Fischer von rechts Gold wert.
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