Eine fragmentierte Welt: auf der einen Seite die Nationalisten des „Make me great again“, auf der anderen Seite die Verfechter der sogenannten „regelbasierten Ordnung“ mit all ihren Institutionen und Regularien. In kaum einem anderen Bereich prallen die Weltanschauungen und Interessen so hart aufeinander wie in der globalen Gesundheitsversorgung. Der kommende Welt-Gesundheitsgipfel Mitte Oktober in Berlin wirft ein Schlaglicht auf diese Konfliktlinie. Schon sein Motto ist ein Wink mit dem Zaunpfahl: „Taking Responsibility for Health in a Fragmenting World“ (Verantwortung übernehmen für Gesundheit in einer fragmentierten Welt) ruft die Welt zur Einheit auf im Kampf gegen Geißeln der Menschheit wie Malaria, Cholera, Polio, aber auch HIV/Aids, diverse Grippe-Erkrankungen oder Krebs – wohl wissend, dass die Einheit längst passé ist seit dem weitgehenden Rückzug der US-Entwicklungsinstitution USAID. Per Dekret von Präsident Trump haben sich die USA zu Beginn dieses Jahres aus Schlüsselbereichen der Entwicklungszusammenarbeit teils vollständig zurückgezogen (Die Tagespost berichtete). Mit am härtesten betroffen ist die Unterstützung für Gesundheitsprogramme in den Ländern Afrikas.
Viele Krankenstationen, Gesundheitszentren und Versorgungseinrichtungen – oft kombiniert mit Ernährungsangeboten, weil sie eng zusammenhängen mit guter Gesundheit – stehen jetzt vor dem Aus. Nichtregierungsorganisationen, aber auch die staatliche Entwicklungszusammenarbeit vieler westlicher Staaten schlagen Alarm. Mit besonderer Glaubwürdigkeit tut dies die katholische Kirche, denn sie ist in vielen Regionen des Kontinents flächendeckend und oft ehrenamtlich engagiert in der Gesundheitsversorgung. Kaum ein Fleck in den Weiten der ost- und südafrikanischen Savannen, in dem es keine katholischen Ordensleute oder Missionsärzte gibt, die ihr Bestes geben im Einsatz für die Gesundheit der Menschen.
Afrika leidet unter USAID-Kürzungen
USAID war über Jahrzehnte einer der größten Geber für Gesundheitsprogramme in Afrika. Bei 41 Prozent lag der Anteil der USA an der gesamten gesundheitsspezifischen Hilfe der reichen Industrieländer wie Deutschland oder Frankreich, die sich im DAC, dem Entwicklungshilfeausschuss der OECD, zusammengeschlossen haben, um die internationale Entwicklungszusammenarbeit zu koordinieren. Mit einem Federstrich Trumps ist diese Säule weggebrochen. USAID finanzierte zahlreiche Initiativen, darunter Impfkampagnen und Programme zur Verbesserung der sanitären Infrastruktur oder die Bereitstellung von antiretroviralen Medikamenten für HIV-Patienten. Besonders in Ländern wie Kenia, Uganda und Mosambik war die Unterstützung von USAID ein entscheidender Faktor für den Ausbau der Gesundheitsversorgung.
Klar, dass das weitreichende Folgen für die medizinische Versorgung auf dem Kontinent hat. Besonders betroffen sind Programme zur Bekämpfung von Malaria und Tuberkulose sowie die Gesundheitsversorgung von Müttern und Kindern und HIV/Aids. Die Entscheidung, die Finanzierung zu reduzieren oder ganz einzustellen, hat nicht nur finanzielle Lücken hinterlassen, sondern auch die Arbeit vieler lokaler und internationaler Organisationen erschwert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor bis zu 100.000 zusätzlichen Malaria-Toten in diesem Jahr. UNAIDS spricht von bis zu zehn Millionen neuen HIV-Infektionen bis 2030.
Die katholischen Gesundheitsdienste sind besonders hart getroffen, weil sie so viele Angebote in der Fläche machen. So hat die Kirche auf den Rückzug von USAID in Afrika mit einer Mischung aus Besorgnis und verstärktem Engagement reagiert. Viele kirchliche Organisationen und Diözesen, die traditionell eine Schlüsselrolle in der Gesundheitsversorgung auf dem Kontinent spielen, sahen sich gezwungen, ihre Ressourcen neu zu priorisieren und alternative Finanzierungsquellen zu suchen. In einigen Fällen haben sie verstärkt auf Spendenkampagnen und Partnerschaften mit europäischen Hilfsorganisationen gesetzt, um die entstandenen Lücken zu schließen.
Kirche nutzt Rolle als soziale und moralische Instanz
In Kenia, Uganda und Kongo haben katholische Krankenhäuser und Gesundheitszentren ihre Dienste trotz finanzieller Engpässe fortgesetzt, oft mit Hilfe von Freiwilligen und durch die Mobilisierung lokaler Gemeinden. Zugleich steht fest: Amerikas Rückzug kann weder von der Kirche noch von irgendeiner anderen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit des Westens kompensiert werden; und der „Osten“ mit Russland und China ist ohnedies ein Totalausfall mit Blick auf partnerschaftliche Zusammenarbeit. Auch als politischer Faktor hat die Kirche ihre Rolle als moralische und soziale Instanz genutzt, um auf die Notwendigkeit einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung hinzuweisen.
Zum Beispiel das Missionsärztliche Institut (heute medmissio) in Würzburg. Dass es zur DNA von Hilfsorganisationen gehört, sich mit eindringlichen Appellen an die Öffentlichkeit zu wenden, ist bekannt. Dass beim Rückzug Amerikas aus der Gesundheitsversorgung in Afrika aber so viele Organisationen mit ähnlich deutlicher Sprache an einem Strang ziehen, kommt nicht so häufig vor. medmissio formulierte so: „Was sich hier entfaltet, ist nicht nur ein finanzielles, sondern ein humanitäres Desaster. Mütter- und Kindergesundheit, Bekämpfung multiresistenter Tuberkulose, Zugang zu sauberem Wasser, Nahrungssicherheit – alles ist betroffen. Besonders dramatisch trifft es die Schwächsten: Kinder, Schwangere, stillende Frauen. In Ostafrika und der Sahelzone hat das Welternährungsprogramm bereits die Rationen halbieren müssen. Millionen drohen zu verhungern, während gleichzeitig medizinische Hilfsprojekte wegbrechen.
Angesichts dieser dramatischen Lage darf sich die Zivilgesellschaft nicht in Schockstarre verlieren. Jetzt ist der Moment, um entschlossen zu handeln – und alte Gewissheiten über Bord zu werfen (…) Was bleibt, ist ein Appell: Die Welt steht an einem Scheideweg. Jahrzehntelang war der Kampf für globale Gesundheit getragen von der Idee internationaler Solidarität – verkörpert auch durch Programme wie USAID. Jetzt ist es an der Zivilgesellschaft, diese Solidarität neu zu definieren. Die Geschichte der globalen Gesundheit ist auch eine Geschichte des menschlichen Willens, Leiden zu lindern, wo immer es geschieht. Und obwohl die USA sich abwenden, dürfen wir nicht aufhören, diesen Willen zu leben.“
Die Zeit der „großen Geber“ ist vorbei
Die Zeit „der großen Geber“ sei vielleicht vorbei. Aber es sei nicht die Zeit, „klein zu denken“. Jede Organisation, jede Initiative, jeder Beitrag zähle. „Und vielleicht liegt in der Krise auch die Notwendigkeit, endlich Strukturen zu schaffen, die wirklich nachhaltig sind – getragen von vielen, nicht wenigen. Verwurzelt vor Ort, nicht gesteuert von außen. Denn Gesundheit ist ein Menschenrecht. Und Menschenrechte sind nicht verhandelbar – auch nicht in Zeiten politischer Umbrüche.“
Tatsächlich spricht viel dafür, den Rückzug Amerikas bei allem Leid, den er verursacht (zumal auch Großbritannien, Frankreich und Deutschland weniger Geld für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben) zu nutzen, um die Eigenverantwortung der Länder des globalen Südens in der Gesundheitsversorgung zu stärken, nach dem altbewährten Prinzip der Subsidiarität. Mittel wären jedenfalls häufig da, wenn es gelingt, die Korruption vor Ort einzudämmen, Eigeneinnahmen und soziale Investitionen zu stärken und wenn die afrikanischen Sympathisanten von Russland, China, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) oder der Türkei in Afrika von ihren zwielichtigen Partnern mehr humanitäre Unterstützung einforderten. Warum eigentlich lässt man Moskau immer nur Waffen und Söldner liefern? Warum lässt man es zu, dass die VAE den Sudan-Krieg mit ihrer Unterstützung für die Rebellen der RSF befeuern? Und warum bezahlt man Pekings Infrastrukturanlagen mit kostbaren Agrarlizenzen, die helfen, die Versorgung im fernen China zu sichern, während in manchen Gegenden Afrikas weiter Menschen verhungern?
Der Autor ist Journalist und Afrika-Experte.
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