Kommt jetzt die „freiwillige Wehrpflicht“? An dieser Formulierung ist das Bundeskabinett mit seinem Beschluss über ein „Wehrdienst-Modernisierungsgesetz“ dann doch vorbeigeschrammt. Die Wehrpflicht bleibt ja auch ausgesetzt. Oder wie es der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, sarkastisch formulierte: „Die einzige Pflicht ist, dass man einen Fragebogen beantworten muss.“ Und in der Tat ist es mehr als fraglich, ob der jetzt mit Rücksicht auf die SPD formulierte Kompromiss, der zunächst eben nur vorsieht, Fragebögen an junge Leute zu versenden und ab 2027 Männer auch wieder zur Musterung einzuberufen, ohne daran allerdings einen verpflichtenden Wehrdienst anzuschließen, zu einem „Personalaufwuchs“ führt, der zum Ziel führt: nämlich angesichts der Bedrohung Europas durch russische Expansionsfantasien wieder eine hinreichende Abschreckungswirkung zu entfalten.
Man könnte an dieser Stelle ein weiteres Mal den Kampf der SPD gegen die Realität geißeln – oder sich eingestehen, dass die Sozialdemokraten mit ihrer Prinzip-Hoffnung-Reform, die bloß niemanden zu irgendetwas verpflichten mag, der Stimmung in großen Teilen der jüngeren Bevölkerung wohl recht gut entsprechen. Wer hat schon Lust auf den Dienst an der Waffe? Der Autor dieser Zeilen war persönlich alles andere als unglücklich darüber, dass Ende der 2000er bereits ein windiges Attest genügte, die auströpfelnde Wehrpflicht zu umgehen. Das wahre Problem ist doch, dass die Jungen in einem Gemeinwesen, in dem Nationalstolz als verdächtig gilt, der Generationenvertrag unter den Maßnahmen der großen Rentnerparteien CDU/CSU und SPD schwer Schlagseite bekommt und jegliche Verpflichtung des Individuums gegenüber dem großen Ganzen durch einen jahrzehntelang individualistischen Zeitgeist diskreditiert wurde, nur schwer vom Anliegen kollektiver Verteidigung zu überzeugen sind.
Ist die Regierung auch sonst bereit, dem Gemeinwohl zu dienen?
„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, fragt, was ihr für euer Land tun könnt“ – dieses Kennedy-Zitat ist so sehr Ausdruck einer vergangenen Zeit, dass die meisten der künftigen Fragebogen-Empfänger es wohl mit einem „Hä?“ quittieren dürften. Nur 16 Prozent der befragten Bürger waren laut einer Erhebung Anfang August „auf jeden Fall“ bereit, im Verteidigungsfall zur Waffe zu greifen, 59 Prozent „wahrscheinlich nicht“ oder gar nicht. Es ist ein weiter Weg zur ungeliebten Pflichtethik im Dienst der Nation.
Nun muss das „Wehrdienst-Modernisierungsgesetz“ allerdings nicht nur im Kabinett, sondern auch im Bundestag bestätigt werden. Hier läge die Chance: Wenn die – wie der Fall Brosius-Gersdorf hoffen lässt, zunehmend selbstbewussten – Abgeordneten sich doch noch durchringen könnten, nachbessernd Elemente einer tatsächlichen Wehrpflicht ins Auge zu fassen, wäre dies zwar wohl nicht unmittelbar im Sinne der ermatteten Bevölkerung, aber im Sinne Deutschlands. Dann könnte die praktische Erfahrung eines gemeinsamen Wehrdienstes vielleicht auch wieder der empfundenen, so notwendigen Loyalität zum Gemeinwesen auf die Sprünge helfen, frei nach dem Motto „die Armee (oder auch der Zivildienst) als Schule der Nation“.
Schön wäre es freilich, wenn so eine Rückkehr zum staatspolitischen Hausverstand auch abseits einer Verpflichtung junger Menschen spürbar würde. Etwa durch eine vernünftige Rentenpolitik, durch Bürokratieabbau, schlicht durch Reformen, die erkennen lassen, dass auch der Staat nicht immer nur fragt, was die Leistungsträger unter den Bürgern für ihn tun können. Der „Herbst der Reformen“ wird zeigen, ob auch die Politik willens ist, sich derart in die Pflicht des Gemeinwohls zu stellen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.