Für die Einen ist er der große böse Wolf, für die Anderen der Märchenprinz, der das christliche Abendland aus seinem Schlaf wachküsst. Bei seinem mehrtägigen Berlin-Besuch zeigte aber nun Viktor Orbán wie er sich selbst sieht: Als Asterix aus Budapest. Der sein gallisches Dorf, also Ungarn, vor allen Freiheitseinschränkungen verteidigt, die seitens der bösen „Römer“ aus Brüssel drohen.
Freiheit
Sein Zaubertrank ist dabei das ausgeprägte ungarische Freiheitsbewusstsein - oder wie es Orbán selbst ausdrückt: dieses Freiheitsgefühl sei der Kern der nationalen Identität seines Heimatlandes. Er wolle, dass seine Kinder einmal sagen könnten, die Elterngeneration habe für diese ungarische Freiheit gekämpft und sie verteidigt. Pathos kommt freilich in dem Gespräch erst zum Schluss auf zu dem „Cicero“-Herausgeber Alexander Marguier und der Verleger der „Berliner Zeitung“, Holger Friedrich, den Premier an diesem Dienstagvormittag eingeladen und auch die Fragen gestellt haben. Vorher zeigt Orbán vielmehr eine Art brutale Freude daran, das deutsche Publikum mit seiner Vorstellung von Realpolitik zu konfrontieren.
Die „ungarischen Interessen“ sind das Leitmotiv, das sich durch seine Antworten zieht. Als er vom Angriff Russlands auf die Ukraine gehört habe, habe er sich zuerst gefragt: „Wie viele Ungarn werden sterben?“. So erklärt er auch seine Ablehnung der Sanktionen gegen Russland: Sie schadeten finanziell den EU-Ländern, aber nicht Russland. Sein Plädoyer: Es müsse zu einer sofortigen Feuerpause kommen. Entscheidend sei jetzt nicht, eine langfristige Lösung zu finden. Darum könne man sich später kümmern. Den Vorwurf, er sei „das trojanische Pferd“ Wladimir Putins, müsse er zurückwiesen. Er stehe als ungarischer Regierungschef auf keiner Seite, außer auf der von Ungarn. Seine Politik sei auch nicht anti-europäisch, sondern er lehne ab, „europäische Politik“ mit den Richtlinien, wie sie von den Brüsseler Institutionen formuliert würden, gleichzusetzen. Europäische Politik sei die Politik der europäischen Nationen – und müsse daher in deren Hauptstädten, „in Lissabon, Berlin oder Budapest“, bestimmt werden.
Verteidiger klassischer Familien
Dieses Modell übertrug Orbán von der Geopolitik auch auf die Gesellschaftspolitik. Er verteidige das klassische Familienmodell, weil es die Ungarn so wollten. Ebenso unterstützte die Mehrheit in seinem Land seine Migrationspolitik – „zero muslims“ -, die Ungarn wollten zu keiner multikulturellen Gesellschaft werden.
Gerade bei diesen Passagen bekommt Orbán Applaus aus dem rund 200 Köpfe-starken Publikum, das sich in hipper Location, im Berliner „Ewerk“ an der Wilhelmsstraße, versammelt hat. Dort sitzen nämlich nicht nur Journalisten, sondern auch Multiplikatoren, vor allem auch solche, die in der „konservativen Szene“ in Deutschland eine Rolle spielen. Thilo Sarrazin gehört zu den Zuhörern, ebenso Ex-Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen oder Sylvia Pantel vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU.
Aber eigentlich muss Orbán seine leidenschaftlichen Kritiker wie seine enthusiastischen Fans in Deutschland mit seinem Auftritt enttäuschen. Denn er entpuppt sich weder als der Übervater der europäischen Rechtspopulisten, der den Kontinent in seinem Sinne politisch imprägnieren will, noch als der Feldherr der christlich-abendländischen Truppen, der nur darauf wartet, im gesamt-europäischen Kulturkampf in die Schlacht zu ziehen. Orbán macht vielmehr deutlich, dass er, wenn er gegen Genderismus und Multikulturalismus kämpft, dies in erster Linie für Ungarn tut. Anderen Ländern gegenüber, auch der Bundesrepublik, macht er ein Toleranzangebot.
Lob für Merkel
Wenn man in diesen Fragen nicht zusammenkomme, solle man sich einfach bei diesen Punkten gegenseitig in Frieden lassen. Orbán präsentierte sich an diesem Dienstagmorgen als ein politischer Handwerker, der vor allem an aus seiner Sicht pragmatischen Lösungen drechseln will und der diese Qualitäten auch an anderen Politikern zu schätzen weiß, selbst dann wenn große inhaltliche Unterschiede bestehen. So baute Orbán immer wieder lobende Worte für Angela Merkel ein, die ja zumindest in der Flüchtlingspolitik so etwas wie seine Erzfeindin war.
Doch die Alt-Kanzlerin habe während des Krim-Konflikts 2014 ein Meisterstück der Diplomatie abgeliefert. Das fehle heute. Orbán spielt geschickt mit den Emotionen seiner deutschen Zuhörer, auch hier eben ganz der gewiefte Polit-Handwerker. Der Regierungschef profiliert sich so klar als ungarischer Interessenpolitiker wie es nur möglich ist – lässt aber trotzdem Freiraum für seine deutschen Interpreten, die innerdeutsche Probleme in der Debattenkultur auf ihn projizieren und ihm so erlauben, die öffentliche Meinung in Deutschland mitzuprägen. Ohne zu merken, dass sie hier instrumentalisiert werden. Kein schlechter Erfolg für den Asterix aus Budapest. DT/sesa
Lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Tagespost eine ausführliche Analyse des Besuchs von Viktor Orbán Berlin.