Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Kommentar zur Münchner Sicherheitskonferenz

Vance zerlegt Europa genüsslich

Ohne Rücksicht auf diplomatische Gepflogenheiten: Der US-Vizepräsident überzieht seine Verbündeten bei der Sicherheitskonferenz mit Vorwürfen, die auch Wladimir Putin unterschreiben könnte. Doch sollte man seine Worte nicht leichtfertig abtun.
J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2025
Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur (www.imago-images.de) | Es wäre ein Leichtes, J.D. Vance in der Frage nach Freund und Feind nun eine Verdrehung der Tatsachen vorzuwerfen. Doch sollte man die zweifellos heftigen Worte des US-Vizes nicht einfach so abtun.

Über die Rede des US-Vizepräsidenten J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz werden die Meinungen auseinandergehen. In einem dürften sich jedoch alle einig sein: Undiplomatischer hätte sie nicht sein können. Fast schon genüsslich, ohne Rücksicht auf die versammelte internationale Polit-Prominenz, zog Vance über Europa her – und feuerte seine verbalen Salven auch noch weiter, als die Mehrheit der sichtlich getroffenen Zuhörerschaft schon längst am Boden lag.

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Wer sich in diesen Tagen, in denen es langsam ernst zu werden scheint mit dem Ukraine-Plan des neuen US-Präsidenten Trump, von Vance klärende Bemerkungen zur Strategie der Amerikaner in den Verhandlungen mit Putin erwartet hatte, wurde enttäuscht. Kaum ein Wort zum Krieg in der Ukraine, kaum ein Wort zur Sicherheitspolitik. Stattdessen machte Vance die Europäer im Wesentlichen selbst für die Misere verantwortlich, in der sie sich befinden.

Vance: Europas größte Bedrohung kommt von Innen

Europas größte Bedrohung komme nicht aus Russland, nicht aus China – sie komme aus dem Innern. Konkret warf der 40-Jährige den transatlantischen Verbündeten vor, Meinungsfreiheit und Demokratie seien in ihren Ländern in Gefahr, es drohe Zensur, und der Volkswille werde durch Brandmauern unterdrückt, die in einer Demokratie nichts zu suchen hätten. Und überhaupt wisse man in Europa doch gar nicht mehr, welche gemeinsamen Werte man verteidige. Für Russlands Präsidenten Wladimir Putin muss es eine wahre Freude gewesen sein, den Ausführungen des Amerikaners zu lauschen.

Es wäre ein Leichtes, Vance in der Frage nach Freund und Feind nun eine Verdrehung der Tatsachen vorzuwerfen. Doch sollte man die zweifellos heftigen Worte des US-Vizes nicht einfach so abtun. Denn der 40-Jährige hat auch einen Punkt, wenn er seinen Partnern jenseits des Atlantiks auf solch rüde Weise einen Spiegel vorhält. Europa agierte lange Jahre viel zu behäbig, verließ sich zu sehr auf den Schutz des großen Bruders USA, verfolgte eine Migrationspolitik, deren Folgen jetzt nicht nur Deutschland auf die Füße fallen.

Im besten Falle wird man Vances Auftritt – der ja nicht isoliert zu betrachten ist, sondern sich einfügt in das umfassende, disruptive Agieren der von Trump geführten US-Regierung – als Weckruf verstehen, um sich wieder der eigenen Werte und Tugenden zu besinnen. Und man wird einsehen, dass man unabhängig von Amerika eine Strategie entwickeln muss, um in dieser immer instabileren geopolitischen Großwetterlage zu bestehen. Das bedeutet gerade nicht, in jeder Hinsicht nach amerikanischer Pfeife zu tanzen und Forderungen wie der von Vance nachzugeben, doch endlich mit der AfD zusammenzuarbeiten. Dann bliebe man ebenfalls kaum mehr als ein Vasall der USA.

Vance ergreift Partei für den Lebensschutz

Apropos Werte: In einem weiteren Aspekt redete der Republikaner Vance in München Klartext: Er kritisierte die Europäer für ihre Haltung gegenüber dem ungeborenen Leben. Konkret, indem er verurteilte, dass Großbritannien mit harten Maßnahmen gegen Lebensschützer vorgehe, die vor Abtreibungskliniken mit friedlichen Gebeten demonstrierten. Das ist bemerkenswert. Wann hört man solch eine Pro-Life-Politik sonst schon auf europäischen Bühnen? Hier könnte sich Europa, wo das Recht auf Leben immer mehr durch ein „Recht“ auf Abtreibung ersetzt zu werden droht, durchaus ein Beispiel nehmen. 

Ansonsten gilt es, die bewusste Provokation von amerikanischer Seite auszuhalten, ohne sofort in den Modus der Entrüstung zu verfallen. Trump und Vance mögen derzeit die Muskeln spielen lassen: Das ändert nichts daran, dass Europa und die USA einander brauchen, nicht zuletzt aufgrund gemeinsamer Absatzmärkte. Soll Vance erst einmal die Leviten lesen. Das letzte Worte ist damit nicht gesprochen. 

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