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Tusk tut, was Scholz nicht kann

Donald Tusk betreibt in Polen mal eben die Aussetzung des Asylrechts. Derweil muss der Kanzler für sein Sicherheitspaket mit der Vertrauensfrage drohen.
Olaf Scholz, Donald TuskMinister Donald Tusk (R) a
Foto: IMAGO/Aleksander Kalka (www.imago-images.de) | Nach einem Jahr an der Macht wirkt Donald Tusk um einiges vitaler als Olaf Scholz, der das Regieren im Ampel-Herbst schon als "mühselig" bezeichnet.

Olaf Scholz kann einem leidtun. „Mühselig“ sei das Regieren, stellte der Kanzler, der bekanntlich ein Image als kühler Hanseat pflegt, schon im August fest. Für seine Standards ein unerhörter Gefühlsausbruch. Seither ist die Einigkeit in der Ampel nicht größer geworden. Und wenn Scholz in den letzten Tagen den Blick staatsmännisch vom Berliner „Schlachtfeld“ hob und in die Nachbarländer schweifen ließ, dürfte möglicherweise sogar so etwas wie Sehnsucht aufgekommen sein.

Auf dem zuletzt wahlentscheidenden Politikfeld Migration konnte etwa die italienische Regierung jüngst vermelden, erste Migranten extraterritorial in ein Aufnahmezentrum in Albanien verlegt zu haben – was sogar die deutsche Innenministerin Nancy Faeser als „interessantes Modell“ lobte. Und der liberale polnische Ministerpräsident Donald Tusk brachte eine Migrationsstrategie durch sein Kabinett, die einfach mal so die vorübergehende Aussetzung des Asylrechts beinhaltet.

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Und Scholz? Muss Medienberichten zufolge damit drohen, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, um auch nur seine eigene Bundestagsfraktion hinter das nach dem Anschlag von Solingen beschlossene „Sicherheitspaket“ zu bringen. Die öffentlichkeitswirksame Kritik des Juso-Chefs Philipp Türmer, das Paket schikaniere „Geflüchtete statt Islamisten“, muss er sich trotzdem anhören. Dabei wurde das Paket, das etwa der Vorsitzende des Richterbunds unisono mit Oppositionsparteien als „Mini-Päckchen“ bezeichnet, in den vergangenen Tagen noch wesentlich abgeschwächt. Unter anderem wurden Einschränkungen der Zahlungen an ausreisepflichtige Asylbewerber an weitere Bedingungen geknüpft. Dass mit dem Vorhaben mehr erreicht wird als noch ein bisschen mehr Bürokratie, darf bezweifelt werden.

Das Migrationsthema ist in der EU nicht gut aufgehoben

Die Moral von der Geschicht? Man muss Tusks durchaus rabiates Vorgehen, das sehenden Auges EU-Recht ignoriert, nicht gutheißen. Aber man darf feststellen, dass die Ampel-Regierung faktisch ein Niveau von fehlender Handlungsfähigkeit erreicht hat, das in Europa seinesgleichen sucht. Die Motive des polnischen Ministerpräsidenten dürften vielschichtig sein. Dennoch ist hier auch zu beobachten, wie eine Regierung die Konsequenzen daraus zieht, dass die EU in einem zentralen Politikfeld nicht in der Lage ist, schnell genug auf eine veränderte Lage zu reagieren.

Nach fast zehnjährigen Debatten über eine Reform des EU-Asylsystems waren im Mai – rechtzeitig vor den Europawahlen – neue Regeln beschlossen worden. Für die Umsetzung haben die Mitgliedstaaten nochmal zwei Jahre Zeit. Tusks Entscheidung, das Asylrecht einfach zu suspendieren, spricht dem ganzen Prozess Hohn. Man darf das bedauern. Letztlich zeigt sich hier jedoch auch, dass die Entscheidung darüber, wer zum Staatsvolk gehören soll – denn damit ist die Asylfrage untrennbar verbunden, führt Asyl in der Praxis doch mittelfristig zu dauerhafter Ansiedlung –, politisch so fundamental ist, dass sie in der schwerfälligen und dem gesellschaftlichen Diskurs ein Stück weit entrückten EU wahrscheinlich nicht gut aufgehoben ist.

Die Ampelregierung wird das Thema nicht abräumen

Deutschland scheint mit seiner zunehmend dysfunktionalen Regierung und der in manchen Kreisen grassierenden Merkel-Nostalgie derweil immer noch nicht an dem Punkt angekommen zu sein, sich der Diskussion um die Fortentwicklung des Asylrechts wirklich ernsthaft zu stellen. Paradoxerweise könnten die Maßnahmen in Polen und Italien, sollten sie zu einer merklichen Reduktion der Zuwanderung führen, dazu beitragen, dass die Politik echte Entscheidungen hierzulande weiter aufschieben kann – wohl auch deshalb hört man aus der Regierung wenig Kritisches in Richtung Tusk.

„Es wäre mein Wunsch, dass es nicht das Hauptthema im Bundestagswahlkampf 2025 wird“, sagte Oppositionsführer Friedrich Merz unlängst mit Blick auf die Migrationsdebatte. Es bleibt zu hoffen, dass sein Wunsch nicht in Erfüllung geht. Zu lange wurde das Thema nicht ehrlich diskutiert. Zumindest eines aber scheint sicher, gerade mit Blick auf die Nachbarländer: Die Ampelregierung wird das Thema nicht abräumen.

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