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Schlag‘ nach bei Henry Kissinger

Der 99-jährige Nestor der internationalen Diplomatie hat ein Buch über „Staatskunst“ geschrieben. Vor allem Merz, Söder & Co sollten hineinschauen.
Henry A. Kissinger, 99-Jährige ehemalige US-Außenminister
Foto: VISTAPRESS / Lana Yassi via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Staatskunst“ – so heißt das neueste Werk von Henry Kissinger. Der 99-Jährige ehemalige US-Außenminister und Berater zahlreicher Präsidenten gilt als der Nestor der internationalen Diplomatie.

Berlin ist im Ferienmodus. Im Urlaub haben vielleicht auch Politiker Zeit zum Lesen. Ein Buch sollten sowohl die Politiker der Regierungsparteien wie von der Union in die Sommerfrische mitnehmen: „Staatskunst“ – so heißt das neueste Werk von Henry Kissinger. Der 99-Jährige ehemalige US-Außenminister und Berater zahlreicher Präsidenten gilt als der Nestor der internationalen Diplomatie. Er hat sechs Staatenlenker der letzten Jahrzehnte porträtiert – Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Richard Nixon, Anwar el-Sadat, Lee Kuna Yew und Margaret Thatcher – und leitet daraus allgemeine Grundsätze der politischen Führung für das 21. Jahrhundert ab.

Erfolgreich dank festem Wertefundament

Die Quintessenz seiner Ausführungen klingt auf den ersten Blick banal: Alle sechs hätten über ein eigenes festes Wertefundament verfügt und seien deswegen in der Lage gewesen, auch „harte Wahrheiten“ deutlich auszusprechen und an diesen ihre Politik auszurichten. Politische Führung heißt demnach nicht, sich den Meinungstrends anzupassen und so vielleicht sogar zunächst Wahlerfolge einzuheimsen, sondern auf der Grundlage dessen, was man selbst für richtig hält, die öffentliche Meinung zu prägen und so eigene, langfristige neue Trends zu setzen.

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Für die Führungsspitze der Union ist vor allem Kissingers Kapitel über Margaret Thatcher interessant. Die „eiserne Lady“ übernahm in einer ziemlich verfahrenen Position ihr Amt als Premierministerin. Das Land war von Streiks gebeutelt. Großbritannien galt als „der kranke Mann“ Europas. Thatcher setzte auf eine Rosskur, streng nach marktwirtschaftlichem Rezept. Sie gewann Wahlen, zog sogar Wähler zu den Konservativen, die vorher woanders ihre Kreuz gemacht hatten und hinterließ ihrem Nachfolger ein saniertes Land.

Entscheidend ist hier aber die politische Methode Thatchers: Er sei ihr nicht darum gegangen, so macht Kissinger deutlich, der vermeintlichen Mitte der britischen Gesellschaft nach dem Munde zu reden. Denn genau diese Mitte sei so etwas wie die Gralshüterin des Status quo. Ihre Vorstellung von Demokratie sah anders aus: Aufgabe einer Partei sei es, klare Prinzipien zu haben, für diese zu argumentieren und für eine Mehrheit zu kämpfen. Im Idealfall vertrete die gegnerische Partei genau den entgegengesetzten Ansatz und biete somit eine klare Alternative. Und dann habe der Wähler eben die Wahl.

Die öffentliche Meinung nach den eigenen Vorstellungen geformt

Das Besondere an diesem Ansatz: Der Wille der Politik, die öffentliche Meinung nach ihren Vorstellungen zu prägen und nicht bloß das zu rekapitulieren, was nach Umfragen sowieso schon mehrheitsfähig ist. Thatcher sei es so gelungen, aus ihren Anhängern eine eigene, eine „neue Mitte“ zu formen. 

Schlag‘ nach bei Henry Kissinger - Sasses Woche in Berlin
Foto: privat / dpa

Und was hat das mit der Union zu tun? „Die Mitte“ ist eine Art Fetisch für bürgerliche Parteien. Ihr Anspruch war es schon immer, das Zentrum der Gesellschaft zu repräsentieren. Aber genau diese Haltung verführt zu Opportunismus und schränkt die eigene politische Gestaltungskraft ein. Zum Taktgeber der Politik wird dann statt des eigenen Programms die neuste Umfrage.

Dies erklärt wahrscheinlich auch die recht zögerlichen Reaktionen von CDU und CSU auf die gesellschaftlichen Umbaupläne der Ampelregierung. Man schielt auf die öffentliche Meinung: Könnte es nicht ein, dass Teile der Mitte bestimmten Ampel-Projekten gar nicht so kritisch gegenüberstehen, lautet die bange Frage. Markus Söder hob in seiner Ampel-Rundumkritik, die er in der letzten „Bild am Sonntag“ lieferte, vor allem auf das Gendern und Ernährungsvorschriften ab. Damit lassen sich leicht am Stammtisch Punkte machen. Die Kritik an anderen Projekten der „Fortschrittskoalition“ (Lebensschutz, Umgestaltung der Familie) bekam beim CSU-Chef  weniger Platz. Hier sind nämlich etwas mehr Argumente erforderlich, und mit Widerspruch aus der „Mitte“  ist auch zu rechnen.

Thesen, die nachdenklich stimmen könnten

Wie Parteien, die sich in ihrem Programm auf das christliche Menschenbild berufen, prinzipiell zu handeln hätten, dürfte klar sein. Ob sie aber bereit sind, für neue Mehrheiten zu kämpfen oder lieber darauf setzen, mit einigen populären Vorstößen Wähler zu fischen, ansonsten aber am „Status quo“ nicht zu rühren, steht auf einem anderen Blatt. Gewiss, die Lektüre eines Buches macht noch keinen politischen Sommer, aber die Thesen Kissingers könnten die Schwarzen zumindest nachdenklich stimmen.   

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