Eine charakteristische Anekdote, die gerade jetzt der Erinnerung lohnt, wo Politiker immer dünnhäutiger werden, wenn sie angegangen werden und schnell zum Kadi eilen: Als Alois Hundhammer einmal in London war, wurde er von einer Touristin erkannt. Sie identifizierte ihn dank seines markanten weißen Bartes. Denn kenne sie aus den vielen Karikaturen, bemerkte die Dame spitz.
Und in der Tat, Alois Hundhammer war in den 50er und 60er Jahren so etwas wie die Lieblingszielscheibe der linksliberalen Hamburger Medien von „Spiegel“ und „Stern“. Für sie war der Oberbayer der Inbegriff eines bösen katholischen „Dunkelmannes“. Schließlich kämpfte er als bayerischer Kultusminister für die katholische Konfessionsschule, schritt ein, wenn aus seiner Sicht im Kino unsittliche Filme auf der Leinwand liefen und galt als Anführer des klerikalen Flügel in seiner Partei, der CSU (zu dem anderen Flügel, den „Liberalen“, zählte übrigens der junge Franz Josef Strauß).
Kritik nahm er gelassen
Aber Hundhammer nahm solche Kritik gelassen. Intuitiv ahnte er wohl auch, dass sie seiner Beliebtheit keinen Abbruch tut. Im Gegenteil – viel Feind, viel Ehr – war hier wohl eher sein Motto. So wurde Hundhammer zur Politik-Marke. Heute erinnern sich sicher wenige an die Details seiner Amtszeit als bayerischer Kultus- und Landwirtschaftsminister oder als Landtagspräsident im Maximilianeum. Sein legendärer Ruf rührt in seiner Prinzipienfestigkeit. Gerade an die sollte man sich heute erinnern. Hundhammer (1900-1974) ist in vielerlei Hinsicht der Gegentyp zur heutigen politischen Klasse. Da ist es fast schon bezeichnend, dass jetzt nirgends an seinen 125. Geburtstag erinnert worden ist.
Als Journalist wird man oft gefragt, ob Politiker denn tatsächlich echte Überzeugungen hätten oder alles nur Taktik sei? Es ist natürlich kaum möglich, hier eine wirklich umfassende Antwort geben zu können. Fest steht aber wohl schon, dass immer mehr Menschen zumindest den Eindruck haben, dass doch alles nur Taktik sei. So wird es vermutlich auch bei den Verhandlungen zwischen Union und SPD jetzt sein.

Beispiel Lars Klingbeil: Der SPD-Vorsitzende, der sichtlich bemüht der kommende Mann seiner geschrumpften Partei sein will, schimpfte über die 551 Fragen, die die Unionsfraktion an die Bundesregierung gestellt hat. Es geht um staatliche Mittel an NGOs. Nun wurde bekannt, dass Klingbeils Frau Geschäftsführerin bei der NGO „Initiative D 21“ ist, die ebenfalls solche Fördermittel bekommen hat. Was auch immer am Ende hier herauskommen mag, besonders glaubwürdig macht das alles Klingbeil nicht.
Die Sehnsucht nach Charakterköpfen bleibt
Zurück zu Hundhammer: Bei dem haben noch nicht einmal die politischen Gegner dessen Prinzipientreue in Frage gestellt. Sie lehnten vielleicht diese Prinzipien als reaktionär und falsch ab, aber die Grundsatztreue Hundhammer galt als unzweifelhaft. Das hing natürlich auch mit der Biographie des CSU-Mitgründers zusammen: Als nach der Machtergreifung der Nazis die Bayerische Volkspartei aufgelöst wurde, kam Hundhammer für einige Wochen in das Konzentrationslager Dachau. Danach schlug er sich als Schumacher durch.
Ein anderer wichtiger Aspekt: Hundhammer war kein Funktionär, sondern ein Politiker mit festen Wurzeln. Er stammte aus einer Bauernfamilie. Später als Landwirtschaftsminister waren die Bauern nicht irgendwelche Bürger, es waren seine Verwandten, seine Freunde. Deren Lebenswelt war seine Lebenswelt. Natürlich kann man jungen Politikern von heute nicht vorwerfen, dass sie in einer Zeit leben, in der sie sich glücklicherweise nicht gegenüber einer Diktatur behaupten und einen Krieg überleben müssen. Trotzdem: Die Sehnsucht nach Charakterköpfen bleibt.
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