Zwei Jahre nach dem barbarischen Gemetzel von Hamas-Terroristen an israelischen Zivilisten und der Verschleppung zahlreicher Geiseln hat der vatikanische Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin die Tat nochmals als „unwürdig und unmenschlich“ verurteilt.
In einem Interview mit den Vatikanmedien, das in voller Länge im „Osservatore Romano“ erscheint, betont der Kardinal: „Wir haben gebetet und tun dies weiterhin, ebenso wie wir weiterhin fordern, dieser perversen Spirale aus Hass und Gewalt, die uns in einen Abgrund ohne Wiederkehr zu stürzen droht, ein Ende zu setzen“.
Parolin gedachte besonders der Familien der immer noch gefangenen Geiseln. Er tat das, nachdem in Italien am Samstag und Sonntag Hunderttausende bei „Pro Palästina“-Demonstrationen auf die Straße gegangen waren. Dabei kam es auch zu Ausschreitungen. In Rom wurde ein Denkmal von Johannes Paul II. am Bahnhof „Termini“ mit unflätigen Parolen beschmiert und der heiliggesprochene Papst als „Faschist“ bezeichnet.
Solidarität mit den Geiseln und ihren Familien
Zu den israelischen Geiseln meint die Nummer zwei im Vatikan: „Mich rühren und schmerzen zutiefst die Bilder dieser Menschen, die in Tunneln gefangen gehalten und ausgehungert werden. Wir können und dürfen sie nicht vergessen. Ich erinnere daran, dass Papst Franziskus in den letzten anderthalb Jahren seines Lebens 21 öffentliche Appelle zur Freilassung der Geiseln lanciert und einige ihrer Familien getroffen hat. Sein Nachfolger, Papst Leo XIV., hat diese Appelle fortgesetzt. Ich versichere ihnen meine ganze Verbundenheit und das tägliche Gebet für ihre Leiden und weiterhin diesen Familien unsere Bereitschaft, alles in unserer Macht Stehende zu tun, damit sie ihre Angehörigen wohlbehalten wieder in die Arme schließen oder zumindest die Leichen der Getöteten zurückerhalten, damit sie würdig beigesetzt werden können.“
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Zur Lage im Gazastreifen gibt Kardinal Parolin an dem Tag, an dem in Ägypten die Verhandlungen über den Trump-Friedensplan beginnen, folgende Einschätzung ab: „Heute ist die Lage in Gaza noch ernster und tragischer als vor einem Jahr, nach einem verheerenden Krieg, der Zehntausende von Todesopfern gefordert hat.“ Es sei notwendig, die Vernunft wiederzugewinnen, die blinde Logik des Hasses und der Rache aufzugeben und Gewalt als Lösung abzulehnen. „Es gibt das Recht, sich zu verteidigen“, meint der Kardinal weiter, „aber auch die Selbstverteidigung muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten.“
Leider habe der Krieg, der daraus entstanden sei, katastrophale und unmenschliche Folgen: „Die tägliche Zahl der Toten in Palästina, Dutzende, manchmal sogar Hunderte pro Tag, darunter viele Kinder, deren einzige Schuld darin zu bestehen scheint, dort geboren zu sein: Wir laufen Gefahr, uns an dieses Gemetzel zu gewöhnen!“ Es sei „inakzeptabel und ungerechtfertigt“, Menschen zu bloßen „Kollateralopfern oder Nebenopfern” zu reduzieren.
Antisemitismus als Folge von „Fake News“
Der in Europa und in vielen Teilen der Welt zunehmende Antisemitismus, so führt der Kardinal weiter aus, sei dabei eine Folge von „Fake News“, von der Vereinfachung der Realität: Diese führe dazu, den Juden als solchen die Verantwortung für das, was heute in Gaza geschehe, zuzuschreiben. „Wir wissen, dass dies nicht der Fall ist: Es gibt auch viele starke Gegenstimmen aus der jüdischen Welt gegen die Art und Weise, wie die derzeitige israelische Regierung in Gaza und im übrigen Palästina vorgegangen ist“, erklärt der Kardinal und fügt an, dass „der oft gewalttätige Expansionismus der Siedler die Gründung eines palästinensischen Staates unmöglich machen will“.
Jedoch sei der Antisemitismus ein Krebs, der bekämpft und ausgerottet werden müsse: „Es braucht Männer und Frauen guten Willens, Erzieher, die helfen zu verstehen und vor allem zu unterscheiden. Wir dürfen nicht vergessen, was im Herzen Europas bei der Shoah geschehen ist, wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass dieses Übel nicht wieder seinen Kopf erhebt.“
Gleichzeitig müsse man dafür sorgen, dass niemals Taten und Verstöße gegen das humanitäre Recht gerechtfertigt werden: „Kein Jude darf angegriffen oder diskriminiert werden, weil er Jude ist, kein Palästinenser darf angegriffen oder diskriminiert werden, weil er Palästinenser ist,“ weil er – wie man leider oft höre – ein „potenzieller Terrorist” sei. DT/gho
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