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Päivi Räsänen: Dieser Prozess ist eine Zäsur

Sexuelle Identitätspolitik ist der Tod von Debatte und Meinungsfreiheit, schreibt Ludwig Brühl von ADF in einem Gastbeitrag zum Prozess gegen die finnische Politikerin.
Päivi Räsänen, finnische Politikerin
Foto: IMAGO/Emmi Korhonen (www.imago-images.de) | Die Verfolgung Päivi Räsänens sei offensichtlich ideologisch motiviert, meint Ludwig Brühl: Es scheint fast als würde die Staatsanwältin austesten, wie weit sie gehen Christen vorgehen kann.

Vielleicht braucht es für einen nüchternen Blick diesmal eine Gerichtsverhandlung. Der Prozess, in dem die finnische Parlamentsabgeordnete Päivi Räsänen angeklagt wird, ist eine Zäsur. Es geht um die Frage, ob christliche Überzeugungen mitten in Europa einen Platz haben, oder verboten werden müssen.  

Der Bestsellerautor Rod Dreher („Benedikt-Option“) nennt den Prozess um die Meinungsfreiheit von Päivi Räsänen deswegen die „Gerichtsverhandlung des Jahrhunderts für den Westen.“ Denn das Gericht muss eine grundsätzliche Entscheidung fällen: Ist es erlaubt, eine christlich informierte Sicht auf Ehe und Sexualität zu haben – ja oder nein.  

Dabei könnte das Urteil einen großen Einfluss auf ähnliche Fälle in ganz Europa haben. Die Frage nach der Meinungsfreiheit und ob christliche Positionen darunterfallen, ist keineswegs auf Finnland beschränkt. Um so erstaunlicher, dass der Prozess im deutschsprachigen Raum noch kaum Beachtung findet.  

Anklage für einen Bibel-Tweet 

Wie kam es zu dem Fall? Die finnische Abgeordnete, ehemalige Innenministerin und Vorsitzende der Christdemokraten in Finnland, Päivi Räsänen, ist praktizierende Christin. 2019 veröffentlichte sie einen Tweet, der sich an ihre eigene lutherische Kirchenleitung richtete. Räsänen kritisierte darin, dass die Kirche die LGBT-Veranstaltung Pride Parade offiziell sponserte. Dem hängte sie ein Foto mit Bibelversen (Römer 1) an.  

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Daraufhin begann eine Hetzjagd gegen sie, der in einer vollständigen Durchleuchtung ihres bisherigen öffentlichen Lebens resultierte. Die Polizei verhörte sie über mehrere Monate insgesamt über 13 Stunden. Eine Kirchen-Broschüre aus dem Jahr 2004 wurde gefunden, in der Räsänen die christliche Lehre über Ehe und Sexualität darstellte. Zudem fiel den Ermittlern noch einzelne Aussagen aus einer Radio-Talkshow zum gleichen Thema in die Hände.  

Für den Tweet, die Publikation und die Aussagen in der Radiodebatte wurde Räsänen 2021 angeklagt. Die “Hassrede”-Vorwürfe fallen im Finnischen Strafgesetzbuch unter den Bereich der „Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Die mögliche Höchststrafe dafür liegt bei zwei Jahren Gefängnis. Räsänen drohen hohe Geldstrafen und die Zensur ihrer Aussagen. 

Staatsanwältin: Interpretation der Bibel „kriminell“ 

Die Ausgangslage war somit vor dem Prozess in Helsinki klar. Entweder das Gericht verteidigt die Meinungsfreiheit oder erklärt christliche Kernüberzeugungen zur „Hassrede“, die bestraft werden können.  

Am ersten Prozesstag nannte die die Staatsanwältin Räsänens Interpretation und Veröffentlichung der Bibelverse auf Twitter „kriminell“. Und bezugnehmend auf Räsänens christlichen Überzeugungen, hieß es von der Staatsanwältin: „Der Punkt ist nicht, ob es wahr ist oder nicht, sondern, dass es beleidigend ist.“ 

Der zweite Verhandlungstag brachte weitere erstaunliche Argumente der Staatsanwältin mit sich. „Sie können glauben, was sie wollen, aber sie können nicht über jede ihrer Überzeugungen sprechen,“ sagte sie zu Räsänen. Im Kreuzverhör ging es dann nicht nur um Räsänens Bibelverständnis, sondern vor allem um das kleine Büchlein mit dem Titel „Als Mann und Frau schuf er sie“, das sie 2004 für ihre Kirche verfasst hatte. Und das, obwohl das Gesetz, unter dem sie für das Büchlein angeklagt ist, trat erst Jahre nach der Veröffentlichung in Kraft.  

Staatliche Christenverfolgung 

Die Verfolgung ist offensichtlich ideologisch motiviert: Es scheint fast als würde die Staatsanwältin austesten, wie weit sie gehen Christen vorgehen kann. Zwei Dinge fallen unabhängig davon auf: Christliche Überzeugungen fallen komplett aus dem Overton Fenster und werden als inakzeptabel verfolgt. Begriffe wie „extremistisch“, „hasserfüllt“ und „schädlich“ heizen eine Hexenjagd an. Bei einem solchen Wortgewitter muss man sich manchmal daran erinnern, dass jeder Aspekt des christlichen Glaubens aus der unbedingten Liebe zum Nächsten entstanden ist.  

Das gilt es wieder überzeugend darzustellen. Die Verkündung von Wahrheit in Liebe ist nur möglich, wenn Religions- und Meinungsfreiheit Sprachräume offenhalten. Dabei müssen Christen systematisch Debattenboden zurückgewinnen – nicht aus Lust an der (gewonnenen) Kontroverse, sondern um ihre Aufgabe als Salz der Erde wahrnehmen zu können.  

Die zweite Lehre aus den Verhandlungstagen in Helsinki: Sexuelle Identitätspolitik ist der Tod jeder Debatte und Meinungsfreiheit. Die Staatsanwältin beschrieb christliche Aussagen zu Ehe und Familie als Angriff auf die sexuelle Identität. Mit der einfachen Formel „sexuelle Rechte sind gleich Menschenrechte“ und Räsänen hätte diese verletzt, begründete sie das drastische Vorgehen gegen die langjährige Parlamentarierin. 
Das Gemisch aus postmoderner Identitätspolitik, mangelnder Meinungsfreiheit und staatlicher Christenverfolgung könnte jetzt dafür sorgen, dass Räsänen verurteilt wird. Ihr rechtliches Team mit ADF-International-Geschäftsführer Paul Coleman arbeitet seit vier Jahren daran, das zu verhindern. Das Urteil kommt in den nächsten Wochen. Doch unabhängig davon gibt es für Christen im öffentlichen Raum viel zu tun.  

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