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Mohammed bin Salman ist zurück auf der Weltbühne

Mohammed bin Salman gefällt sich in der Rolle des Reformers. Wie er sein Land angesichts der internationalen Krisen aufstellt, erklärt Saudi-Arabien-Experten Sebastian Sons.
Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman
Foto: Victoria Jones (PA Wire) | Der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz MBS genannt, nutz die internationale Lage, sein Land zu positionieren.

Herr Sons, in Saudi-Arabien ist eine Studentin zu 34 Jahren Haft verurteilt worden - weil sie auf Twitter Beiträge von Frauenrechtlerinnen geteilt hatte. Es ist laut einiger NGOs das härteste Urteil dieser Art, das bislang in dem Land gesprochen wurde. Sind die Reformen von Kronprinz Mohammed bin Salman nur Fassade?

Es hängt vom Blickwinkel ab, inwieweit man die Reformen als Fassade bezeichnet. Das, was wir in den letzten Jahren unter dem Kronprinzen gesehen haben, ist durchaus eine gesellschaftliche Liberalisierung und eine wirtschaftliche Diversifizierung bei gleichzeitigem Anstieg der politischen Repression. Das heißt der Bevölkerung beziehungsweise bestimmten Bevölkerungsgruppen, die sich sehr loyal gegenüber dem Kronpzinzen zeigen, werden Zugeständnisse gemacht, Frauen ist das Autofahren erlaubt worden, es gibt viele neue Entertainment-Möglichkeiten im Land, das ist sicherlich auch ein ernst zu meinender und ein irreversibler Prozess.

"Er sieht sich selbst als der alleinige Architekt
von Verbesserungen der Situation der Frauen
in Saudi-Arabien und duldet niemanden neben sich"

Aber gleichzeitig sieht man auch, dass jegliche Kritik am Kronprinzen, auch an seinen Wirtschaftsreformen, streng geahndet wird. Hierbei richtet man sich vor allem gegen die eigenen Landsleute, insbesondere gegen Frauenaktivisten und Frauenaktivistinnen, die in den letzten Jahren quasi das Monopol des Kronprinzen, die Frauenrechte zu fördern, in Frage gestellt haben. Er sieht sich selbst als der alleinige Architekt von Verbesserungen der Situation der Frauen in Saudi-Arabien und duldet niemanden neben sich. Dementsprechend sind diese sehr drakonischen Strafen, wie wir in den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, auch damit zu erklären, dass er ein Exempel statuieren möchte, dass er der Bevölkerung und vor allem kritischen Stimmen zeigen möchte: Es gibt sehr strenge rote Linien und die roten Linien beginnen eben schon da, wenn man nicht nur offensiv Kritik übt, sondern wenn man auch schon die Kritik anderer teilt. Das ist eine neue Dimension und das hat auch dazu geführt, dass es in Saudi-Arabien  bei bestimmten Bevölkerungsgruppen durchaus ein Klima der Angst herrscht.

Während nach innen symbolträchtige Reformen durchgeführt werden, scheint Saudi-Arabien aber nach außen hin weiter auf einen radikalen gewaltbereiten Islam zu setzen.

Die Frage nach dem radikalen, gewaltbereiten Islam würde ich verneinen. Saudi-Arabien hat sich nicht erst unter Mohammed bin Salman deutlich von der Unterstützung gewaltbereiter islamistischer, dschihadistischer Gruppierungen abgewandt. Die Regierung pflegte eigentlich schon nach dem 11. September einen sehr konzilianten und auch einen sehr harten Kurs gegenüber jeglichen terroristischen und fundamentalistischen Gruppierungen.

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Unter Mohammed bin Salman hat die Marginalisierung des religiösen Establishments noch zugenommen. Es wird zwar in der äußeren Beobachtung immer wieder davon gesprochen, das er quasi  den wahabitischen Klerus abgeschafft hat, das stimmt aber nicht, er hat ihn angepasst. Das heißt, er hat die autonomen Rechte der Religionspolizei beschnitten, er hat aber die Institution selbst nicht abgeschafft. Er setzt weiterhin auf einen religiösen Diskurs, dieser wird aber eher moderat geführt. Er kleidet sozusagen die Religion in sein Mäntelchen von einer aufgeklärten Toleranz und einer offenen modernisierten saudischen Gesellschaft. Das ist das Narrativ, das er streut und damit möchte er auch konservative Bevölkerungsgruppen überzeugen. Man sieht auch, dass nicht nur säkulare, aktivistische Oppositionelle verhaftet werden, sondern auch Geistliche, die sich in der Vergangenheit sehr stark konservativ geäußert und teilweise Kritik an den Modernisierungsvorhaben des Kronprinzen geäußert haben. Es sind also

zwei Zielgruppen: Die Einen sind Vertreter einer jungen, eher kritischen, aufgeklärten Frauenbewegung, die teilweise im Ausland beheimatet sind. Der andere Teil ist eher die konservative Elite des Landes. So kann man nicht sagen, dass der Kronprinz nur die eine oder die andere Seite marginalisieren möchte. Es geht in beide Richtungen.

"Die USA sind in einer sehr delikaten Situation,
insbesondere Joe Biden, der gerade in seinem Wahlkampf
sehr stark auf die anti-saudische Karte gesetzt hat
und Mohammed bin Salman als Außenseiter bezeichnete"

Nach dem Besuch von US-Präsident Joe Biden ist der Kronprinz auf der weltpolitischen Bühne zurück. Der russische Krieg gegen die Ukraine, die steigenden Ölpreise und die Frage nach der Versorgungssicherheit mit Öl und Gas haben offensichtlich Bidens Haltung gegenüber Saudi-Arabien verändert. Bedeutet wertebasierte Außenpolitik nichts mehr, wenn es darum geht, neue Öl- und Gasquellen zu erschließen?

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat mit Sicherheit dazu geführt, dass man nicht nur in den USA, sondern auch in Europa nochmals sein werteorientiertes Verhältnis zu autoritären Regimen überdenkt. Mit Sicherheit ist es grundsätzlich ein Dilemma für liberale westliche Demokratien, mit autokratischen Staaten wie Saudi-Arabien zusammenzuarbeiten und gleichzeitig für die Menschenrechte einzutreten. In der Vergangenheit ist oftmals, nicht ganz zu Unrecht, der Vorwurf der Doppelmoral aufgekommen, dass Menschenrechte nur dann eine Rolle spielen, wenn eigene realpolitische Interessen nicht tangiert werden. Und diese Situation sieht man momentan auch. Die USA sind in einer sehr delikaten Situation, insbesondere Joe Biden, der gerade in seinem Wahlkampf sehr stark auf die anti-saudische Karte gesetzt hat und Mohammed bin Salman als Außenseiter bezeichnete. Jetzt musste er sozusagen einknicken, indem er nach Saudi-Arabien reiste, um sich dort mit dem Kronprinzen zu treffen.

Die Erfolge sind allerdings sehr überschaubar. Eher war es ein diplomatischer Prestigeerfolg für Mohammed bin Salman, der damit zeigen kann, dass er nach der Kashoggi-Affäre wieder auf der Weltbühne zurück ist, dass Saudi-Arabien nicht nur unersetzlich ist, was die Lage auf dem Ölmarkt und die weltweite Energiesituation betrifft, sondern auch als geostrategischer Partner, etwa im Kampf gegen den Irak. Diese Situation nutzt Saudi-Arabien derzeit für sich aus und ist auch sehr selbstbewusst. So heißt es: Wir werden uns nicht auf eine Seite stellen, wir werden nicht nur die USA oder den Westen gegen Russland unterstützen, sondern wir werden unsere Partnerschaften weiter ausbalancieren und diversifizieren. Das bedeutet, dass Saudi-Arabien weiterhin eng mit Russland und China Geschäfte macht, die dem Land nützen.

Dieses Selbstbewusstsein zeigen neben Saudi-Arabien auch die Vereinigten Arabischen Emirate. Man grenzt sich davon ab, als Vasall oder Marionette des Westens zu gelten. Dahinter steckt nicht nur strategisches oder propagandistisches Kalkül, sondern auch die Absicht, gegenüber der eigenen Bevölkerung Stärke zu zeigen, sich in Krisenzeiten als Vorbildnation zu präsentieren. Und da bilden die USA und gerade Biden eine hervorragende Projektionsfläche, weil antiamerikanische Ressentiments in Saudi-Arabien in de letzten Jahren zugenommen haben. Man sieht die Amerikaner nicht mehr als verlässlichen Partner an.

"In Saudi-Arabien hofft man, dass ein republikanischer
Präsident wie Trump an die Macht kommen wird"

USA und Saudi-Arabien – zwei Länder, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Wie steht es heute um das Verhältnis zu den USA?

Das Verhältnis zwischen den USA und Saudi-Arabien ist historisch gesehen immer wieder von einem Auf und  Ab geprägt. Das wird auch in Saudi-Arabien immer wieder betont. Es handelt sich um eine enge Partnerschaft, die auf gemeinsamen Interessen beruht: Sicherheit, Öl, Kampf gegen den Terrorismus. Es ist aber keine Liebesehe, sondern vielmehr eine Zweckehe. Es gibt nicht nur wesentliche Unterschiede im politischem System, auch in der Auffassung. In Saudi-Arabien hat sich in den letzten Monaten und Jahren die Haltung durchgesetzt, dass die Amerikaner nicht bedingungslos hinter Saudi-Arabien stehen und das Land ernsthaft verteidigen würden. Das zeigte sich ganz besonders nach dem Raketenangriff Irans auf zwei saudische Ölraffinerien im September 2019. Damals noch unter Donald Trump, der eben nicht, wie man es erwartet hatte, gegen den Iran vorging, sondern sich eher zurückhielt. Da zeigte sich für die Saudis, dass man sich auf die Amerikaner nicht verlassen könne, man andere Partner brauche und selbstbewusster auftreten müsse. Hinzukommt, dass man Joe Biden von Anfang an nicht ernst genommen und als Freund der Saudis wahrgenommen hat. Vor allem auch, weil Biden die Menschenrechtsfrage so hoch auf seine Agenda gesetzt hat. In Saudi-Arabien hofft man, dass ein republikanischer Präsident wie Trump an die Macht kommen wird.

Jahrzehntelang standen sich die arabische Welt und Israel feindlich gegenüber. Vor dem Besuch von US-Präsident Joe Biden in Saudi-Arabien hat das Königreich seinen Luftraum für „alle Fluggesellschaften“ geöffnet - also auch für solche aus Israel.  Gibt es Hoffnung auf eine diplomatische Normalisierung?

De facto hat Saudi-Arabien bereits eine informelle Normalisierung mit Israel vollzogen, weil man im wirtschaftlichen wie im geheimdienstlichen Bereich teilweise sehr eng zusammenarbeitet, enger als es vor Jahren noch vorstellbar gewesen wäre. Das ist mittlerweile in weiten Teilen der saudischen Bevölkerung akzeptiert, weil man nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ Israel als Partner gegen den Iran sieht.

Sebastian Sons
Foto: (imago stock&people) | Sebastian Sons ist seit März 2021 Researcher bei CARPO, einem in Deutschland ansässigen Think Tank mit dem Schwerpunkt Orient. Sons veröffentlichte 2016 „Auf Sand gebaut.

Allerdings wird es eine offizielle Normalisierung meiner Meinung  nach nicht geben, weil Saudi-Arabien nach wie vor kein Interesse daran hat. Andernfalls gäbe es auch heftigen Gegenwind aus der arabischen Region. Saudi-Arabien ist eine Führungsmacht in der Region, eine islamische Führungsmacht als Hüter der heiligen Stätten Mekka und Medina und steht daher, zumindest in der Theorie, in einer besondere Verantwortung für die palästinensische Sache.  Das ist auch die Staatsdoktrin, die der 86-jährige König Salman immer wieder formuliert, wobei der Kronprinz des Verhältnis zu Israel pragmatisch einschätzt.. Solange aber Salman lebt, wird es keine echte Normalisierung geben.

Vor einem halben Jahr begann der Überfall Russlands auf die Ukraine. Wie positioniert sich Saudi-Arabien angesichts des russischen Krieges?

Saudi-Arabien zeigt sich sehr distanziert gegenüber den Forderungen des Westens, sich ganz klar gegenüber Russland zu positionieren. Ähnlich wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder auch andere Golfstaaten sieht man den Krieg in der Ukraine als relativ weit weg. Auf meinen letzten Reisen nach Saudi-Arabien hat man häufiger gehört, man sei ein wenig schadenfroh darüber, dass nun der Westen attackiert würde. Immer wieder habe man vom Westen gehört, man solle das Problem mit dem Irak selbst lösen, eine Lösung muss aus der Region kommen. Das werde nun auch dem Westen vorgehalten. Warum braucht ihr uns, löst eure Probleme auf dem Ölpreismarkt doch allein. Immer wieder sei zu hören, der Westen nehme die iranische Bedrohung nicht ernst. Aber da ist viel Propaganda dabei. Letztlich sind der Westen, die USA, weiter ein wichtiger strategischer Partner Saudi-Arabiens.

Eine militärische Zusammenarbeit soll es aber weiter auch mit Russland geben. Allerdings hat  Russland an Reputation verloren, weil man auch in Saudi-Arabien sieht, dass die Militär-Offensive gegen die Ukraine nicht so erfolgreich ist, wie das von den Russen vorher gedacht war.

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