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Land für Frieden in der Ukraine?

Die Debatte, unter welchen Bedingungen Kiew Gebiete an Russland abtreten kann und soll, ist nur eine Nebelkerze: Sie bringt uns dem Frieden nicht näher, stiftet aber Verwirrung.
Selenskyj ist auch an das Recht seines Landes gebunden
Foto: IMAGO/Simon Dawson / Avalon (www.imago-images.de) | Selenskyj ist auch an das Recht seines Landes gebunden. Die ukrainische Verfassung lässt Gebietsveränderungen nur nach einem landesweiten Referendum zu.

Seit zweieinhalb Jahren diskutiert die Welt darüber, wie der Krieg in der Ukraine enden kann. Realistische und abstruse, hoffnungsvolle und pessimismusgesättigte, überstürzte und strategische Ideen werden da debattiert, gewogen und für zu leicht empfunden. Viele Politiker, Beobachter und Experten gehen davon aus, dass für Wladimir Putin ein Rückzug aus dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine oder auch nur hinter die Linien vom 24. Februar 2022 als Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden nicht in Frage kommt. Was also kann man dem Räuber als Beute anbieten?

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Nun hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Idee von Gebietsabtretungen selbst befeuert, indem er im Interview mit französischen Zeitungen betonte, dass „jede Frage, die die territoriale Integrität der Ukraine betrifft, nicht von einem Präsidenten, einer einzigen Person oder von allen Präsidenten der Welt ohne das ukrainische Volk gelöst werden kann“. Schwenkt angesichts des anhaltenden militärischen Drucks an der Front nun der ukrainische Präsident selbst auf eine Formel „Land für Frieden“ ein? Sandte Selenskyj mit seiner Äußerung eine Botschaft an den Kreml, dass ein ukrainisches Referendum ein denkbarer Weg zu Gebietsabtretungen und damit zu einer offiziellen Angliederung der Krim wie des Donbass an Russland sein könnte?

Internationales und nationales Recht ist zu wahren

Tatsächlich ausgeschlossen hat Selenskyj lediglich, dass er im Alleingang oder eine internationale Friedenskonferenz die Grenzen zwischen Russland und der Ukraine neu ziehen könnte. Gegen solche Landkartenspiele, wie sie beim Wiener Kongress (recht erfolgreich) und bei den Pariser Vorortverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg (weit weniger erfolgreich) betrieben wurden, spricht vor allem eines: das Recht.

Im völkerrechtlich verbindlichen „Budapester Memorandum“ von 1994 bekannten sich alle Signatarstaaten, darunter Russland und die USA, zur Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine in ihren völkerrechtlich anerkannten Grenzen. Dagegen verstößt Putins Einflusspolitik seit jeher, und seine Eroberungspolitik seit 2014. Es wäre zynisch, nicht davon auszugehen, dass das internationale Recht für alle Staaten relevant ist und ein Friedensschluss ihm neuerlich Geltung verschaffen muss.

Selenskyj ist darüber hinaus auch an das Recht seines Landes gebunden. Die ukrainische Verfassung lässt Gebietsveränderungen nur nach einem landesweiten Referendum zu (Artikel 73), und sie nennt alle Regionen – einschließlich der von Russland eroberten und annektierten Gebiete – namentlich (Artikel 133). Ein Präsident, der darüber willkürlich verfügen würde, sei es auch im Zuge internationaler Friedensverhandlungen, wäre ein Tyrann und Usurpator.

Es gibt kein Angebot aus dem Kreml

Entscheidender als alle Diskussionen darüber, ob die ukrainische Bevölkerung in einem Referendum mit Mehrheit Gebiete an Russland abtreten würde, um einen Waffenstillstand oder gar einen Frieden zu gewinnen, ist eine offensichtliche Tatsache: Es gibt seitens des Aggressors keinerlei derartiges Angebot. Putin hat nie behauptet, dass er sich mit der Krim und dem Donbass begnügen würde. Er hat nie einen „Frieden für Land“ angeboten, nicht einmal einen Waffenstillstand. Darum sind alle Diskussionen über freiwillige Gebietsabtretungen derzeit nur Nebelkerzen, die verwirren und spalten.

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