Das Ziel der Ökumene ist die Einheit im Glauben und in den Sakramenten; das Ziel des interreligiösen Dialogs ist das friedliche Miteinander von Menschen, die im Glauben nicht geeint sind. Dieser Unterschied war bei der Reise von Papst Leo in die Türkei und den Libanon vielfach mit Händen zu greifen.
In Istanbul entfaltete er die Vision einer christozentrisch begründeten Wiedervereinigung der getrennten Kirchen, also einer mit Blick auf Christus geeinten Glaubens- und Gebetsgemeinschaft. Darauf gab es in Iznik (Nicäa) und Istanbul (Konstantinopel) trotz aller Zurückhaltung einen Vorgeschmack. Beim Besuch in der Sultan-Ahmet-Moschee dagegen ließ sich der Papst wie ein Tourist herumführen, lächelte, lauschte und stellte Fragen.
Der Einladung zu einem Moment des Gebets entzog sich der Papst
Der Einladung zu einem Moment des Gebets entzog er sich, wovon kirchlichen Agenturen völlig überrascht waren. Die hatten fest damit gerechnet, dass Leo XIV. – wie seine Vorgänger Benedikt XVI. und Franziskus – in der „Blauen Moschee“ in stiller Versenkung innehalten würde, was dann die einen als innerliches Gebet, die anderen als Meditation interpretieren könnten. Doch Leo XIV. vermied jede Missverständlichkeit, so als wollte er zeigen, dass es ohne Anerkennung Christi im Sinne des Bekenntnisses von Nicäa auch kein gemeinsames Beten geben kann. Für seine muslimischen Begleiter war das sichtlich kein Problem – ebenso wenig wie das silberne Brustkreuz, das der Papst beim Moscheebesuch trug.
Klarer als in der Türkei, die ein laizistischer Staat mit muslimischer Gesellschaft ist, wandte sich der Papst im Libanon dem interreligiösen Zusammenleben zu. Denn abgesehen vom protokollarisch notwendigen und gewiss wichtigen ersten Halbtag in Ankara, war die Türkei-Visite des Papstes den getrennten Christen, also der Ökumene gewidmet. Im Libanon, wo „Minarette und Glockentürme nebeneinanderstehen und beide gen Himmel ragen“, wandte er sich an ein Land, das ein Versuchslabor für christlich-muslimische Koexistenz ist, ja durch die Verfassung gezwungen, allen Einfluss zwischen maronitischen Christen, Sunniten und Schiiten so auszutarieren, dass jeder zu seinem Recht und keiner zur Dominanz gelangt.
Frieden im Fokus der päpstlichen Appelle
Weil aber der Libanon seit einem halben Jahrhundert, seit dem Beginn des Bürgerkriegs, von allen Konflikten in Nahost betroffen ist, stand der Frieden im Fokus der päpstlichen Appelle. Hier oder nirgendwo im Orient können Muslime lernen, mit einer traditions- und selbstbewussten christlichen Gemeinschaft auf Augenhöhe zu verkehren. Gerade weil sich das Leben im Orient weniger an Grenzen auf einer Landkarte orientiert, wie ein muslimischer Redner dem Papst erläuterte, kann es eine libanesische Identität nur geben im „Wunsch, als Volk miteinander zu leben und zu wachsen“, damit „aus jeder Gruppe eine Stimme in einem vielstimmigen Chor“ werden kann, wie Leo XIV. formulierte. Dieses Miteinander, das nicht in Parallelgesellschaften verharrt und doch vom anderen keine Assimilation fordert, ist das Wesen des Libanon.
Ähnlich wie Benedikt XVI. 2009 in der Staatsmoschee von Amman, verzichtete Leo XIV. in Beirut nicht darauf, die Wahrheit zum Maßstab des Zusammenlebens zu machen: „Wahrheit und Versöhnung wachsen immer und nur gemeinsam.“ Die Empfehlung des Papstes, „die Erinnerung zu heilen, und diejenigen einander anzunähern, die Unrecht und Ungerechtigkeit erlitten haben“, war dabei nicht nur an die Gesellschaft des Libanon, sondern an den Orient insgesamt gerichtet.
Und doch zielt der interreligiöse Dialog (im Gegensatz zum ökumenischen) nicht auf Vereinigung, sondern darauf, „Angst, Misstrauen und Vorurteile“ zu überwinden, um zu Respekt, Dialog und Frieden zu finden. Darin sieht Leo XIV. die Berufung des Libanon in der Region: „Intoleranz zu bekämpfen, Gewalt zu überwinden und Ausgrenzung zu verbannen“.
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