Er hat in den vergangenen 30 Jahren Tausenden von Kindern geholfen und kennt die sozialen Brennpunkte deutscher Städte wie kaum ein anderer. Dabei scheut er sich nicht, unbequeme Themen anzusprechen. Nun möchte der Gründer des christlichen Kinderhilfswerks „Die Arche“, Bernd Siggelkow, seine Erfahrungen in die Politik einbringen.
Der Lebensweg des 1964 geborenen Siggelkow beginnt in schwierigen Verhältnissen im Hamburger Stadtteil St. Pauli. „Ich bin selber in Kinderarmut groß geworden, oder überhaupt in Armut und ohne Liebe“, sagt er. Die Mutter hat die Familie verlassen als er sechs Jahre alt war, der Vater war sehr gewaltbereit: „Bei uns gab es immer einen Existenzkampf.“ Ein einschneidendes Erlebnis war für den jungen Siggelkow die Begegnung mit einem Pastor: „Er fragte mich, ob ich wüsste, dass es jemanden gibt, der mich liebt - und ich wusste es nicht. Der redete von Gott, von dem hatte ich erst recht keine Ahnung. Aber ich wusste: Das ist der Schlüssel, der mir helfen könnte, um auf einen besseren Weg zu kommen.“
Im Alter von 16 Jahren entschied sich Siggelkow zur Konversion. Nach einer kaufmännischen Ausbildung und Tätigkeit im Vertrieb studierte er Theologie an einem Seminar der Heilsarmee und wurde schließlich selbst Pastor mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendarbeit. Anfang der 1990er-Jahre verließ Siggelkow Hamburg. Sein neuer Arbeitsort: Berlin-Hellersdorf. Der Stadtteil hatte damals mit rund 70 Prozent die höchste Quote an Alleinerziehenden in Deutschland. Dort traf er viele Kinder ohne Perspektive. „Als ich sie kennenlernte, war mir klar: Die brauchen nicht Programme, sondern Menschen, die in sie investieren“, sagt er. 1995 gründete er die erste Arche, ein Hilfswerk, das sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen benachteiligter Kinder und Familien einsetzt. Heute betreibt „Die Arche“ mehr als 30 Einrichtungen in der Bundesrepublik.
Christliche Werte spielen eine Rolle
Siggelkow betont, seine Arbeit sei zwar nicht missionarisch, doch spielten Nächstenliebe, Toleranz und christliche Werte eine Rolle. „Wenn ich heute 400 Angestellte habe, sind natürlich nicht alle davon Christen. Aber ich vermittle ihnen, dass die Menschen, die zu uns kommen, mit den Augen Gottes gesehen werden sollen“, sagt er. Gerade in säkularen Milieus hat es Zeit gebraucht, um Vertrauen aufzubauen. Doch heute wird die Einrichtung über Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg geschätzt. Auch im Umgang mit schweren Schicksalsschlägen gibt sein Glaube Siggelkow Halt. Mit vielem musste der 61-Jährige in seinem langjährigen Wirken bereits kämpfen. Beim Amoklauf in München im Jahr 2016 waren drei Jugendliche der Arche unter den Toten. Im Vorjahr tötete sich kurz vor Weihnachten ein Vater gemeinsam mit seinen drei Kindern. Es handelte sich um eine Familie, mit der das Hilfswerk zusammengearbeitet hatte.
„Jeden Tag haben wir mit herausfordernden Situationen zu tun“, sagt er im Gespräch mit der „Tagespost“. Jüngst bewahrte die Arche ein Kind vor der Zwangsverheiratung. Als bekannt wurde, dass das Kind von seiner Organisation zum Jugendamt gebracht und daraufhin aus der Familie genommen wurde, standen Parolen mit Mordaufrufen an den Hauswänden. „Ich muss sagen, wenn ich kein Glaubensfundament hätte, dann hätte ich schon lange in den Sack gehauen“, stellt Siggelkow fest.
Siggelkow wurde im vergangenen Jahr CDU-Mitglied und kandidiert nun bei der Abgeordnetenwahl 2026 in Berlin. Für die Christdemokraten habe er sich entschieden, weil der Großteil der Werte dieser Partei mit seinen übereinstimme. Er hätte auch in die SPD eintreten können, doch in der CDU müsse er die wenigsten Kompromisse eingehen. Dabei ist Siggelkow alles andere als ein Ja-Sager. „Ich werde auch unbequeme Themen benennen“, betont er. Ihm sei es wichtig, dass in jedem Bereich Menschen mit praktischer Erfahrung die Politik beraten und in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. „Ich meine nicht hochstudierte Ökonomen, sondern die Leute, die jeden Tag mit den Problemen der Menschen konfrontiert sind“, betont der Arche-Gründer. Er habe das Gefühl, dass viele Politiker die Basis nicht kennen. Siggelkow selbst verfügt nicht nur über Expertise im sozialen Bereich, sondern über unmittelbare Erfahrung mit den Menschen auf der Straße.
Aus seiner Arbeit kennt er die Sorgen und Nöte vieler Familien und Kinder. Deshalb will er als Fachmann in die Politik gehen, der Probleme mit Sachverstand und Erfahrung angeht. Großen Veränderungsbedarf sieht Siggelkow im Bereich der Bildung: „Wir brauchen dringend ein Bildungssystem, das sich am Kind orientiert.“ Er verweist darauf, dass immer mehr Schüler nicht einmal die erste Klasse schaffen und jedes Jahr viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen. Nach Siggelkows Ansicht braucht es in der Ausbildung von Lehrkräften neue Wege. Er spricht sich für ein duales Lehramtsstudium aus, in dem angehende Lehrer zunächst praktische Erfahrungen sammeln. Denn viele von ihnen brechen das Studium während des Referendariats ab.
Deutsche Sprache ist Teil der Integration
Eine Baustelle sieht Siggelkow auch in der Migrations- und Integrationspolitik. Deutschland sei an der Belastungsgrenze: „Ein Krankenhaus mit 50 Betten kann nicht 5.000 Patienten aufnehmen“, sagt er. Er fordert eine Politik, die nicht nur auf Grenzsicherung setzt, sondern Anreize schafft, damit Menschen die Sprache erlernen und rasch in Ausbildung und Arbeit kommen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die deutsche Sprache auch ein Teil der Integration ist“, betont er. „Wir können das nicht einfach freilassen, sonst bleiben wir in den Problemen, die wir gerade haben.“ Auch aus seinem persönlichen Umfeld hört er, wie groß der Bedarf ist: „Meine Tochter unterrichtet in Berlin Deutsch als Zweitsprache. Eigentlich sollte der Kurs nur für Arche-Eltern sein, inzwischen hat sie 160 Anmeldungen.“ Zugleich fordert Siggelkow von Zugewanderten, dass sie ihren Teil zur Integration beitragen: „Wer etwas von der Gesellschaft bekommt, muss auch bereit sein, etwas zurückzugeben.“
In der politischen Debatte wünscht sich Siggelkow mehr Sachlichkeit und Mut zur Wahrheit. „Wenn heute ein Politiker etwas sagt, bekommt er fünf Minuten später einen Shitstorm von der anderen Seite.“ Er plädiert für eine Politik des Handelns. „Man muss einfach mal machen, einfach mal regieren und sagen: Es ist mir egal, was andere sagen.“ Diese Haltung prägt ihn seit den Anfangsjahren der Arche. „In den ersten zehn Jahren wusste jeder besser, wie man sich um benachteiligte Familien kümmert, aber keiner hat es gemacht. Ich habe mein Ding durchgezogen, weil mir wichtig war, was die Menschen denken, mit denen ich arbeite.“ Politik muss für Siggelkow den Mut haben, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, auch wenn sie unpopulär sind. „Die Bürger wollen keine endlosen Debatten, sie wollen Ergebnisse sehen und sich wahrgenommen wissen.“
Für Siggelkow ist der Schritt in die Politik eine Fortsetzung seiner bisherigen Arbeit. „Ich gehe in die Politik, weil ich nichts zu verlieren habe“, sagt er. „Ich gehe nicht, um bekannter zu werden, sondern um den Menschen eine Stimme zu geben, die sonst keine haben.“ Was ihn antreibt, ist derselbe Impuls, der ihn einst zur Gründung der Arche bewegte: handeln statt reden. Politik, so sagt er, muss wieder den Mut finden, Entscheidungen zu treffen, die nicht jedem gefallen, aber den Menschen dienen. Ihm gehe es nicht um Schlagzeilen, sondern um Lösungen, die an der Basis etwas verändern. „Ich weiß, dass man nicht alle Probleme lösen kann“, sagt Siggelkow, „aber man kann anfangen, und man muss anfangen.“ Wie in seiner Arbeit für die Arche will er auch in der Politik nicht auf andere warten, sondern Verantwortung übernehmen.
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