Nicht nur bei Staats- und Regierungschefs wohnt der ersten Auslandsreise ihrer Amtszeit meist eine Zeichenhandlung inne. Auch beim Papst, der Ende November in die Türkei und in den Libanon aufbricht, also nicht in sein Geburtsland USA oder in seine Wahlheimat Peru, wo er – unterbrochen von römischen Jahren – jeweils ein Vierteljahrhundert lang lebte. Seine Amtsvorgänger Benedikt XVI. und Franziskus eilten zuerst zum Weltjugendtag, 2005 in Köln beziehungsweise 2013 in Rio, doch Leo XIV. fliegt am 27. November in die Türkei und drei Tage später in den Libanon.
Starke Zeichenhandlungen: Wie seine Vorgänger seit Papst Paul VI. pflegt der amerikanische Petrusnachfolger die Beziehung zum Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, dem Nachfolger des Apostels Andreas. Petrus und Andreas waren bekanntlich Brüder, und in diesem Geist wollten Paul VI. und Patriarch Athenagoras sowie ihre jeweiligen Nachfolger die Beziehungen zwischen Rom und Konstantinopel, zwischen katholischer und orthodoxer Kirche entwickeln.
Wie konkret oder diplomatisch wird sich Leo in Ankara äußern?
Zwei Schatten liegen über dieser Geste: ein ökumenischer, weil das Haupt der größten orthodoxen Kirche, der Moskauer Patriarch Kyrill, wegen des innerorthodoxen und politischen Streits um die Ukraine mit dem Ehrenoberhaupt der globalen Orthodoxie, Bartholomaios, gebrochen hat. Das wirkt sich auch auf die Beziehungen zwischen Rom und Moskau aus. Und ein politischer, denn Papst Leo bleibt es nicht erspart, dem türkischen Präsidenten Erdoğan in Ankara seine Aufwartung zu machen, obgleich der gerade mit den Waffen von Polizei und Justiz die türkische Opposition einstampft. Es wird sich lohnen, genau hinzuhören, wie konkret oder diplomatisch sich Papst Leo in Ankara zu Korruption, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie äußert, und noch mehr, welche ökumenischen Akzente er in Istanbul setzt.
Am Bosporus besucht der Papst neben Bartholomaios auch das armenisch-apostolische Patriarchat und eine syrisch-orthodoxe Kirche, wo sich die Häupter der christlichen Konfessionen versammeln werden. Die Vielfalt der verschwindend kleinen christlichen Minderheit in der Türkei ist in Rom wohlbekannt; Papst Leo XIV. wird ihr sein Ohr und damit weltweite Sichtbarkeit leihen. Eine weitere Gelegenheit, alle Christgläubigen in den Blick zu nehmen, bietet sich dem Papst beim Besuch in Iznik, dem antiken Nicäa, wo vor 1.700 Jahren das erste ökumenische Konzil christologische Klarheit brachte.
Von Istanbul wird der Papst nach Beirut fliegen, und damit zu seiner ersten Nahost-Reise. Der Libanon war einst das einzige arabische Land mit christlicher Mehrheit, und auch wenn die Christen heute nur mehr ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, stellen sie den Staatspräsidenten und mit dem maronitischen Patriarchen die wirkmächtigste moralische Autorität. Hier wird der Papst nicht umhinkommen, Mahnworte an die herrschende Klasse zu richten, die den einst blühenden Libanon wirtschaftlich und sozial ruiniert hat. Korruption, Klientelismus und persönliche Bereicherung vermeintlicher Eliten haben auch Leos Vorgänger oft gegeißelt; in Beirut wäre das durchaus angebracht.
Friedensbotschaft an die Länder der Bibel
Der Papst wird seine erste Nahost-Reise wohl auch nutzen, um eine Friedensbotschaft an die Länder der Bibel zu richten. Die schiitische Hisbollah hat durch ihre Taktik militärischer Nadelstiche gegen Israel den Libanon in den jüngsten Nahostkrieg hineingezogen und ist nun selbst geschwächt. Trotz der relativen Waffenruhe, die eine Frucht des von Papst Leo XIV. ausdrücklich begrüßten 20-Punkte-Plans von Donald Trump ist, kann von einem stabilen Frieden in der Region noch keine Rede sein. Was läge für den Papst also näher, vom Land der Zedern aus einen Appell zum Frieden und zur Versöhnung an die ganze Region zu richten – und zum friedlichen Mit- oder Nebeneinander von Christen und Muslimen aufzurufen, was im Libanon und in Jordanien noch halbwegs funktioniert. In anderen Ländern des Nahen Ostens gibt es viele Gründe zu ernster Sorge.
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