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Kein Leid mit der Leitkultur

Wenn es um die Werte der westlichen Gesellschaften geht, darf der Staat nicht neutral bleiben, schreibt Paul Dzino.
Einbürgerung im Rathaus  Berlin Neukölln
Foto: Thomas Koeh ler/photothek.net (imago stock&people) | Am Endpunkt der Integration? Zugewanderte erhalten ihre Einbürgerungsurkunden im Rathaus Berlin Neukölln.

Im Auftrag von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer hatte seine Integrationsministerin Susanne Raab vor einiger Zeit eine Expertenrunde eingeladen, um über das Thema Leitkultur zu diskutieren. Grundlage dafür war das inoffizielle Wahlprogramm der Partei von beiden, der sogenannte „Österreich-Plan“ der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). In dem steht, dass „es eine österreichische Leitkultur“ brauche, „die sich auch als nationales Kulturgut gesetzlich widerspiegeln soll. Damit soll sichergestellt werden, dass Symbole und Verhaltensweisen, die unseren Grundwerten entgegenstehen, rechtlich differenziert behandelt werden können.“ Dass es der ÖVP hauptsächlich um den Zusammenhang mit Zuwanderung geht, zeigt auch einer ihrer Slogans: „Integration durch Anpassung.“ Noch deutlicher drückt es Bundeskanzler Nehammer in einem Interview aus: „Was ist der Sinn der Übung? Dass Menschen, die zu uns kommen, wissen, worauf sie sich einlassen. Und wenn sie das nicht wollen, gar nicht zu uns kommen.“

Böse Zungen behaupten, dass die ÖVP das Thema nur deshalb in die Medien bringe, um für die Europawahl im Juni und vor allem für die Nationalratswahl im September Stimmen aus dem rechten Wählerspektrum zu gewinnen. Und doch ist zu hoffen, dass davon mehr bleibt als ein bloßer Wahlkampfschlager. Nun ist die Forderung nach einer Leitkultur keineswegs neu, weder in Österreich noch in Deutschland. Sie hat allerdings wegen erhöhter Zuwanderung in den letzten Jahren und Jahrzehnten an Brisanz gewonnen. In die Debatte geworfen von dem syrisch-deutschen Politikwissenschaftler Bassam Tibi, der mit einem Konzept unter diesem Titel versuchte, europäische Werte und den Islam miteinander zu vereinbaren, wurde der Begriff seither von vielen Politikern aufgegriffen, unter anderem auch von Friedrich Merz und Markus Söder. In diesem Sinne meint Leitkultur nicht nur ein Sein, sondern vor allem auch ein Sollen. Dazu gehören Werte und Rechtsnormen genauso wie Bräuche und Traditionen, sinnvoll wäre wohl ein Katalog anhand solcher Kategorien. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass sich manches davon in Gesetze gießen lässt und anderes wieder nicht.

Zuwanderer würden profitieren

Die Herausarbeitung einer Leitkultur hätte mehrere Vorteile: Erstens, dass sich die Gesellschaft so ihrer eigenen Identität wieder stärker bewusst würde. Zweitens hat der Staat, der durch ebendiese Gesellschaft getragen wird, Aufgaben zu erfüllen, und jede Behörde, ob gewollt oder ungewollt, vermittelt durch ihr Tun eine bestimmte Haltung. Ganz besonders wichtig ist dies im Bildungssystem, in Schulen, denn in Lehrplänen und im Unterricht findet Wertevermittlung statt. Dabei kann und soll der Staat nicht neutral bleiben und offen für Werte wie den Schutz der Menschenwürde, Meinungsfreiheit, Demokratie oder die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau einstehen. Drittens soll eine Leitkultur offen sein für Verbesserungen, aber auch Sachen ausschließen, die zwar anderswo gelebt werden, für die hierzulande aber kein Platz sein darf. Das war schließlich auch der Grund, der die Leitkulturdebatte auf den Plan gerufen hat.

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Es gab Probleme mit manchen Praktiken, die in islamischen geprägten Gesellschaften nicht unbekannt sind: Antisemitismus, Unterdrückung von Mädchen und Frauen, weibliche Beschneidung oder Ehrenmorde. Klarheit in der Kommunikation wäre ein Fortschritt. Zuwanderer würden davon profitieren, da ihnen klar gesagt wird, was sie erwarten dürfen und was von ihnen verlangt wird. Im besten Fall ist die Definition einer Leitkultur ein Schritt auf dem Weg zu gelungener Integration.

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