Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Debatte um die Ausladung von Philosophin

Der Fall Nancy Fraser: Die Cancel Culture frisst ihre Kinder

Die Universität Köln lädt die amerikanische Philosophin Nancy Fraser wegen einer Stellungnahme zum Nahost-Konflikt von der Albertus-Magnus-Professor aus.
Nancy Fraser
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Nancy Fraser ist Professorin für Philosophie an der New School for Social Research in New York.

Im Jahr 2021 sagte Stephan Lessenich, der Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung im Interview mit der „FAZ“: „Ich bestreite, dass es eine Cancel Culture gibt. Das ‚Netzwerk Wissenschaftsfreiheit‘ und ähnliche Akteure suggerieren zwar, dass das ein großes Problem an hiesigen Universitäten sei. Aber mit meinen Erfahrungen deckt sich das keineswegs.“ Nun scheint Lessenich einen Gesinnungswandel vollzogen zu haben. Zusammen mit anderen Kollegen aus der Tradition der „Kritischen Theorie“ hat er einen offenen Brief aufgesetzt, in dem er Versuche beklagt, „Wissenschaftler:innen (sic!), die vermeintlich problematische Positionen vertreten, aus der Diskussion hierzulande auszuschließen“.

Neuentdeckte Liebe zur Wissenschaftsfreiheit

Unter dem Warnenden befindet sich auch Robin Celikates, Professor für Philosophie an der FU Berlin: Im Januar 2021 schloss er sich einem „Offenen Brief gegen Transphobie in der Philosophie“ an, der allein dazu diente, Stimmung gegen die britische Philosophin Kathleen Stock zu machen, die schließlich wegen der persönlichen Angriffe ihre Professur an der Universität von Sussex aufgab. Nun entdeckt auch er seine Liebe für die Wissenschaftsfreiheit und die freie Rede.

Was ist geschehen? Die Universität Köln hat die linke, feministische Philosophin Nancy Fraser von der ihr angetragenen diesjährigen Albert-Magnus-Gastprofessur ausgeladen, in deren Rahmen sie drei Veranstaltungen hätte halten sollen. Die Ausladung begründete die Universitätsleitung mit dem Hinweis, Fraser habe im November 2023 den offenen Brief „Philosophy for Palestine“ unterschrieben, in dem „das Existenzrecht Israels als ‚ethno-suprematistischer Staat‘ seit seiner Gründung 1948 faktisch in Frage gestellt“ und der „Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7.10.2023 … in rechtfertigender Weise relativiert“ werde. Außerdem riefen die Unterzeichner „zum akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen auf“. Da sich Fraser nicht von dieser Erklärung habe distanzieren wollen, hätte man als Universität die Konsequenz ziehen müssen. Insbesondere die Unterstützung der Boycottaufrufe seien mit den „intensiven Beziehungen zu israelischen Partnerinstitutionen nicht vereinbar“.

„Erheblicher Schaden“ für die Wissenschaft?

Fraser zeigt sich in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ empört über den Vorgang und sagt einen „erheblichen Schaden“ für die deutsche Wissenschaft voraus: „Es ist ein klarer Verstoß gegen die von der Universität verlautbarte Politik und gegen die Werte, auf die sie sich mit dem Namen Albertus Magnus beruft. Diese Werte lauten ja gerade akademische Freiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit und offene Diskussion.“

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Neben gesagt ist es höchst fraglich, ob man das intellektuelle Erbe Alberts des Großen wirklich am besten dadurch pflegt, dass man eine Anhängerin der Kritischen Theorie und des Feminismus mit einer nach ihm benannten Gastprofessur ehrt. Ein in der Tradition der Scholastik verwurzelter katholischer Intellektueller von Format, von denen es gerade in den USA einige gibt, hätte sicher besser zu Albertus Magnus gepasst.

Entscheidender – und auch unterhaltsamer ­– ist aber, dass Fraser offenbar keinen Sinn für Ironie hat. Denn ihr scheint bei ihren Vorwürfen gegen die Universität Köln nicht aufgefallen zu sein, dass sie mit ihrem pauschalen Boykottaufruf gegen israelische Universitäten gerade dieselbe Cancel-Mentalität befürwortet, der sie nun selbst zum Opfer gefallen ist.

Canceln bleibt Canceln, egal wen es trifft

Nun kann man sich über diese Selbstzerfleischungstendenzen des linken akademischen Establishments, für das es so lange keine Cancel Culture gibt, bis es die eigenen Leute trifft, amüsieren. Aber das allein wäre zu einfach. Es stellt sich nämlich zugleich die ernste Frage, wie man sich als prinzipientreuer Vertreter der Wissenschafts- und Redefreiheit in einem solchen Fall positionieren sollte. Und da scheint klar: So schlecht die Wahl von Fraser aus fachlichen Gründen von Anfang an auch gewesen sein mag, ihre rückwirkende Ausladung beruft sich nicht auf die mangelnde Qualität ihrer philosophischen Veröffentlichungen, sondern auf eine unliebsame politische Stellungnahme. Genau diese Vermischung von fachlicher Kompetenz und im weitesten Sinne politisch-gesellschaftlicher Meinungsäußerung gehört aber zum Kern des Cancelns. Daher dürfen Freunde des feien Diskurses zwar über die Ironie im Fall Fraser schmunzeln, aber wirklich freuen können sie sich nicht.

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