Zu dem Umstand, dass sein umstrittenes Ostertuch nicht wie geplant im Wiener Stephansdom ausgestellt werden wird, hat sich Gottfried Helnwein wie folgt geäußert: „Derzeit haben wir einen Trend weltweit, Kunst zu canceln, Ausstellungen zu verbieten, Konzerte zu verbieten. Es gibt eine Zensurorgie gegen die freie Ausübung der Kunst, und es betrifft Bild sowie Wort.“
Seine Verbitterung ist mehr als verständlich. Schließlich ist es ja tatsächlich ein Affront gegenüber einem Künstler, ihm erst die Zusage für ein Projekt zu erteilen und diese dann wieder zurückzuziehen. Das Domkapitel hat hier zugegebenermaßen unglücklich agiert. Mit Cancel Culture hat das Ganze allerdings nichts zu tun, und das sollte Helnwein eigentlich wissen. Denn es geht hier nicht um ein Verbot seiner Kunst, sondern um die Frage der Angemessenheit für einen bestimmten Raum. Dementsprechend erklärte auch Jan-Heiner Tück, Professor für katholische Dogmatik an der Universität Wien, Helnweins Bild habe „in einem Altarraum nichts zu suchen, im Museum kann man sich davon sehr wohl provozieren lassen.“
Um einen Vergleich zu bemühen: Dass der Partyschlager „Layla“ auf Volksfesten von den Veranstaltern verboten wurde, ist tatsächlich eine Form von Zensur, aber jeder würde einsehen, dass dieses Lied in einem gottesdienstlichen Rahmen völlig unangebracht wäre.
„Alles hat seine Zeit“, lehrt der Prediger Salomo, und so hat eben auch alles seinen Ort. Die Freiheit der Kunst entbindet nicht von dem richtigen Gespür für deren Platzierung.
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