Ein Jahr nach dem Sturz von Bashar al-Assad leben Syriens Christen in Angst. Und das aus gutem Grund: Die Gewaltexzesse sunnitischer Terroristen gegen Alawiten, Kurden und Drusen haben bewiesen, dass das neue Regime die Minderheiten weder schützen kann noch will. Zunächst hat der im sogenannten Arabischen Frühling 2011 angezettelte Regionalkrieg um Syrien, der nie wirklich ein „Bürgerkrieg“ war, das traditionsreiche Land verwüstet, und nun setzt das seit 8. Dezember 2024 herrschende Regime von „Übergangspräsident“ Ahmed al-Sharaa das Zerstörungswerk fort.
Nicht nur sunnitische Syrer tanzten vor einem Jahr voll Freude in den Straßen – auch in den Straßen Deutschlands und Österreichs. Die westliche Diplomatie, die Medienwelt und selbst kirchliche Kreise arbeiteten sich an den Verbrechen der Assad-Diktatur ab, priesen „Syriens Stunde Null“ und räumten dem Terrorführer Al-Sharaa alle Möglichkeiten zu einem Neustart der Beziehungen ein. Al-Sharaa legte seinen Kampfnamen ebenso ab wie den Kampfanzug, übte sich in diplomatischer Rhetorik und versprach jedem, was er so hören wollte. Der Westen (USA, EU und Großbritannien) strich den erfolgreichen Putschisten und seine Terrorbande von allen Terrorlisten. Donald Trump überschüttete den neuen Diktator Syriens beim Empfang im Weißen Haus mit Komplimenten.
Sunnitische Rachegefühle
Tatsächlich hätte Syrien nach Jahrzehnten der Diktatur und todbringender westlicher Sanktionen, nach Jahren erbitterten Krieges und mörderischer Zerstörung einen Neustart dringend nötig. Die Aufhebung des Sanktionsregimes und internationale Unterstützung sind längst keine politische, sondern allein eine humanitäre Frage. Es ist allerdings mehr als zweifelhaft, dass die neuen Herrscher Syriens ihre Geisteshaltung und ihre Ziele geändert haben. Für die letzten Christen Syriens ist das jedoch die Überlebensfrage, denn wenn der Staat die fragilen Minderheiten nicht schützt, ist der Tod die Alternative zur Emigration.
Das Regime von Vater und Sohn Assad hatte den Christen unterschiedlicher Konfession Überlebensräume geöffnet. Gewiss nicht aus Liebe, sondern aus Berechnung: Da der Assad-Clan der alawitischen Minderheit Syriens angehört, musste er nur die sunnitische Mehrheit fürchten. Alle Minderheiten schienen da überaus nützliche Partner. Und so konnte sich das seit den Tagen der Apostel vitale christliche Leben in Syrien stärker, selbstbewusster und sichtbarer entfalten als in anderen arabischen Ländern (abgesehen vom Libanon). Auch das macht die Christen heute zu einem Ziel sunnitischer Rachegefühle.
Der Westen muss darum seine Unterstützung für das Al-Sharaa-Regime an den unbedingten Schutz der ethnischen und religiösen Minderheiten knüpfen. Andernfalls gibt es für Alawiten und Drusen kaum, für Christen aber gar keine Möglichkeit, in Syrien zu überleben.
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