Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Kommentar um „5 vor 12“

Ist das noch Imperialismus, oder bereits Wahnsinn?

Mit der Ankündigung, die besetzten Gebiete über einen Beitritt zu Russland abstimmen zu lassen, hat Putin die letzte Chance auf ein baldiges Ende seines ukrainischen Albtraums verbaut.
Brandmunition auf Ozerne
Foto: (www.imago-images.de) | Gespenstische Szenerie: Mutmaßlicher russischer Vergeltungsangriff mit Brandmunition auf das Dorf Ozerne in der Region Donezk nach dessen Rückeroberung

Es war kein Sportpalast-Moment, als Wladimir Putin in seiner gestrigen Fernsehansprache die nächste Eskalationsstufe im Ukrainekrieg zündete. Eine Teilmobilmachung von zunächst 300 000 Reservisten, die Ankündigung von Referenden in den besetzten Gebieten über einen Beitritt zu Russland noch in der folgenden Woche, und die Versicherung, das „Mutterland“ mit allen Mitteln zu verteidigen: All das ist noch nicht der „totale Krieg“, zumal Putin die begrenzte Natur der Mobilmachung zu betonen versuchte. Aber möglicherweise trotzdem die letzte Eskalationsstufe unterhalb einer nuklearen Auseinandersetzung.

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In keinem der Kolonialkriege, die Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion mit ehemaligen Satellitenstaaten führte, ist der Kreml so weit gegangen, völkerrechtlich fremdes Territorium direkt zu annektieren. Weder in Transnistrien, noch in Georgien. Erst mit der Krim wurde dieser Schritt 2014 vollzogen, die Putin in seiner Rede nun erneut als „Russland“ bezeichnete. Die Logik ist damals wie heute die gleiche: Erkläre ich ein besetztes Gebiet zu russischer Muttererde, so wäre jeglicher Versuch einer Rückeroberung gleichbedeutend mit einem direkten Angriff auf eine Atommacht.

Zugeständnisse sind Landesverrat

So dürften sich in der Ostukraine nun bald zwei Kriegsgegner gegenüberstehen, für die mögliche territoriale Zugeständnisse an den Kontrahenten jeweils nur als Landesverrat gelten können. Damit scheint das Zeitfenster für Verhandlungen endgültig geschlossen; Putin wollte es so. Man kann nur hoffen, dass er es nicht zum Äußersten kommen lässt: Zwar wäre ein Atomwaffeneinsatz immer noch irrational. Schließlich kann Putin damit bei den Großmächten, die er im Ringen mit den Vereinigten Staaten auf seiner Seite braucht - China und Indien – kaum auf Zustimmung hoffen. Es ist auch nach wie vor nur schwer vorstellbar, dass die russischen Bürger einen Atomkrieg mit dem „Brudervolk“ gutheißen könnten. Doch entwickelt der Krieg, ist die Befehlsgewalt in die Hand eines gewissenlosen Diktators wie Putin gelegt, der meint nicht verlieren zu dürfen, seine Eigendynamik. Einen erneuten Vorgeschmack auf einen Vernichtungskrieg hat die russische Armee mutmaßlich gegeben, als sie nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums ein komplettes, jüngst befreites Dorf in der Region Donezk mit völkerrechtlich geächteter Brandmunition einäscherte.

Klar ist nur, dass dies nun nicht das Ende der westlichen Unterstützung für die Ukraine bedeuten kann. Es gilt, einen kühlen Kopf zu bewahren, und den Machteliten im Kreml klarzumachen, dass auch diese Spielart des Wahnsinns nicht zum Erfolg führt. 

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