Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung ISTANBUL

Hagia Sophia: Jetzt ist Erdogan am Zug

Verwaltungsgericht bestätigt Rechtsgültigkeit des Atatürk-Dekrets von 1934, lässt dem Staatspräsidenten aber freie Hand
Hagia Sophia: Rechtsgültigkeit bestritten
Foto: Stephan Baier | Die Hagia Sophia in Istanbul (Türkei).

Im Streit um den Status der Hagia Sophia in Istanbul ist jetzt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Zug. Wie die Nachrichtenagentur „Fides“ berichtet, wehrte das türkische Verwaltungsgericht (Danistay) in Ankara in seiner Sitzung am Donnerstag einerseits eine Klage ab, die die Umwandlung der zuvor als Moschee genutzten Hagia Sophia 1934 in ein Museum für rechtswidrig erachtete. Gleichzeitig erklärte das Höchstgericht es allerdings für legitim, den Status der früheren Basilika und späteren osmanischen Reichsmoschee neuerlich durch ein Präsidialdekret zu verändern.

Rechtsgültigkeit bestritten

Lesen Sie auch:

Islamische Kreise in der Türkei hatten die Rechtsgültigkeit des Dekrets von 1934 in Zweifel gezogen, mit dem Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk die ab 1453 als Moschee genutzte Hagia Sophia zum Museum erklärte. Demgegenüber bestätigte das Verwaltungsgericht die Gültigkeit der damaligen Entscheidungen und Dokumente. Der heutige Präsident könne jedoch den aktuellen Status des Ayasofya-Museums per Dekret ändern.

Vorangegangen war eine heftige Kontroverse um den Status des Baus, der ein knappes Jahrtausend als christliche Kirche und ab 1453 als Reichsmoschee der Osmanen genutzt wurde. Der türkische Justizminister Abdulhamit Gül heizte zuletzt die Debatte an, indem er sagte, es sei „der Wunsch von uns allen“, die Ketten der Hagia Sophia zu sprengen und sie wieder für das muslimische Gebet zu öffnen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu wies alle ausländischen Appelle in der Streitfrage zurück: Es handle sich um eine Frage der türkischen Souveränität. Von Präsident Erdogan kamen widersprüchliche Signale.

„Spirituelle und kulturelle Bedeutung für Milliarden von Gläubigen“

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, warnte am Dienstag in einer Predigt in Istanbul, die Hagia Sophia gehöre „nicht nur ihrem Besitzer, sondern der gesamten Menschheit“. Darum sei das türkische Volk verantwortlich, die Universalität dieses herausragenden Monuments hervorzuheben. Als Museum könne die Hagia Sophia ein Ort und Symbol der Begegnung, des Dialogs und der friedlichen Koexistenz von Völkern und Kulturen sein, ein Ausdruck wechselseitiger Verständigung und der Solidarität zwischen Christentum und Islam. „Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee würde Millionen Christen in aller Welt enttäuschen“, so Bartholomaios.

DT/sba

Lesen Sie einen ausführlichen Hintergrund zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Hagia Sophia in der nächsten Ausgabe der „Tagespost“ auf den Seiten 2 und 3. Holen Sie sich das ePaper dieser Ausgabe

Themen & Autoren
Redaktion Christentum Christliche Kirchen Hagia Sophia Moscheen Mustafa Kemal Atatürk Osmanen Recep Tayyip Erdoğan

Weitere Artikel

Von den wahlberechtigten Türken in Deutschland stimmten gut 67 Prozent für Erdoğan. Wie ticken die Türken in der Diaspora politisch?
08.06.2023, 09 Uhr
Sebastian Sasse
Brüssel und Washington werden mit Ankara im Gespräch bleiben, um zu verhindern, dass sich die Türkei stärker an Russland und China orientiert. 
01.06.2023, 07 Uhr
Stephan Baier

Kirche

In der 63. Folge des Katechismuspodcasts spricht Theologe Andreas Wollbold über das richtige Verhältnis von Mensch und Schöpfung.
09.06.2023, 14 Uhr
Meldung
In der Schöpfungsgeschichte spiegele sich die Kunstfertigkeit Gottes wider, so Theologe Andreas Wollbold in der 62. Folge des Katechismuspodcasts.
08.06.2023, 14 Uhr
Meldung
Jacques Barthieu starb auf Madagaskar den Martyrertod bei einem Angriff von Rebellen.
08.06.2023, 07 Uhr
Claudia Kock
Wenn der Umgang mit Erzbischof Gänswein zum Stil vatikanischer Personalpolitik wird, sollten Kleriker in Zukunft Rom als Arbeitsplatz meiden.
09.06.2023, 11 Uhr
Guido Horst
Der biblisch gut belegte Zorn Gottes ist ein blinder Fleck der zeitgenössischen Theologie. Die Hochschule Heiligenkreuz nahm ihn in den Blick.
08.06.2023, 11 Uhr
Stephan Baier