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Gorbatschow: weder Held noch Heiliger

Der letzte starke Mann der Sowjetunion war ein großer Ermöglicher. Den Zusammenbruch der kommunistischen Weltmacht hatte er jedoch weder geplant noch gewollt. 
Michael Gorbatschow und Papst Johannes Paul II.
Foto: imago stock&people via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Papst Johannes Paul II. empfing den damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow am 1. Dezember 1989 im Vatikan.

Heute wird Michail Gorbatschow 90 Jahre alt. Die Heroisierung von Michail Gorbatschow war stets eine deutsche Spezialität. Dabei ist die deutsche Wiedervereinigung ein Musterbeispiel für das bleibende Verdienst des letzten Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU): „Gorbi“ war der große Ermöglicher, der sich einer geschichtlichen Entwicklung nicht aktiv in den Weg stellte, der im entscheidenden Augenblick nicht die Notbremse zog und auf Gewalt verzichtete. Das ist angesichts der blutigen Geschichte der Sowjetunion und ihrer menschenfeindlichen Ideologie nicht wenig.

Unklare Rolle

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Ja, es würde den Friedensnobelpreis, den Gorbatschow 1990 erhielt, wohl rechtfertigen, hätte er im Fall Litauens nicht doch versucht, die Loslösung dieses katholischsten der drei baltischen Staaten von der UdSSR gewaltsam zu verhindern. Bis heute nicht restlos aufgeklärt ist die Rolle, die „Gorbi“ rund um den August-Putsch von 1991 spielte: Immerhin waren es seine engen Vertrauten, die den Weg in die Freiheit stoppen und das Rad der Geschichte noch einmal zurückdrehen wollten.

Dankbare Deutsche 

Die Deutschen waren ihrem „Gorbi“, der sich mit dem tatkräftigen Helmut Kohl arrangierte und die Wiedervereinigung zuließ, immer dankbar. Und sie waren gegenüber Papst Johannes Paul II., der die Wiedervereinigung Deutschlands und ganz Europas nie aufgegeben hatte, ja in den Blick rückte und vielfältig vorantrieb, immer ignorant. Dabei rühmte Gorbatschow selbst das geschichtsmächtige Wirken von Papst Johannes Paul II. Ohne diesen Papst wäre die Berliner Mauer nie gefallen, sagte „Gorbi“ einst. Er musste es wissen.

In Russland umstritten

In seiner Heimat Russland war Gorbatschow stets umstritten, und ist es auch heute. Viele nahmen und nehmen es ihm übel, dass er die Weltmachtrolle Moskaus verspielte, die Vorherrschaft über die Hälfte Europas aufgab und den Zerfall der Sowjetunion nicht verhinderte. Anders als seine Amtsvorgänger stellte der letzte Generalsekretär der KPdSU dem Freiheitsdrang der Völker keine Panzer in den Weg. So wurde aus dem überzeugten Leninisten ein großer Ermöglicher.

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Stephan Baier Helmut Kohl Johannes Paul II. Michail S. Gorbatschow Päpste Wiedervereinigung

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