Der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine habe das Potenzial, „noch weit in dieses Jahr hinein oder länger zu dauern“. Das jedenfalls meint der Kaiserenkel Karl von Habsburg, der nicht nur Chef des Hauses Habsburg, Präsident der Paneuropa-Bewegung Österreich und Großmeister des St. Georgs-Ordens ist, sondern sich – ähnlich seinem berühmten Vater Otto von Habsburg – längst einen Namen als außenpolitischer Analyst gemacht hat.
In einer „Rede zur Zukunft Europas“ warnte er am Mittwochmittag in Wien, Europa müsse eine neuerliche Invasion über Belarus Richtung Kiew und weitere Flüchtlingsströme nach Westen ebenso einkalkulieren wie eine Destabilisierung Russlands: Russland sei ein Kolonialreich und nun vom Zerfall bedroht. „Derzeit dienen die Minderheitenvölker im russischen Kolonialreich vor allem als Kanonenfutter für die russische Armee.“ Es sei die Frage, wie lange diese Völker sich eine solche Behandlung gefallen ließen. „Wir müssen mit Szenarien rechnen, die ein – wahrscheinlich sehr unruhiges – Ende des russischen Reiches bedeuten.“
Putin vor ein Kriegsverbrechertribunal
Analysten, die einen Kompromiss mit dem Kreml und eine gesichtswahrende Lösung für Wladimir Putin suchen, widerspricht Karl von Habsburg vehement: „Mit den bisher begangenen Kriegsverbrechen hat Putin jedes Recht verloren, sein Gesicht zu wahren. Er gehört vor ein Kriegsverbrechertribunal, samt seinen Mittätern, und es muss einen Regimewechsel in Moskau geben.“ Ebenso in Minsk. Der Enkel des 2004 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochenen Kaisers Karl meinte am Mittwoch in Wien, dass Russland am Ende „selbstverständlich“ Reparationen zu zahlen habe. „Daher sollte der Westen auch sofort die 300 Milliarden Dollar Währungsreserven konfiszieren, die von der Russischen Zentralbank in sieben westlichen Zentralbanken gehalten werden.“ Ebenso sollten die eingefrorenen Vermögen russischer Oligarchen für Reparationen verwendet werden.
Der russische Krieg gegen die Ukraine sei letztlich ein Angriff „auf Europa, auf unser Lebensmodell, auf Demokratie, Freiheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft“. Karl von Habsburg wörtlich: „Es ist ein Krieg, den die östliche Despotie gegen die westliche Demokratie losgetreten hat.“ Kein Europäer könne ein Interesse daran haben, sich der Despotie Putins zu unterwerfen. „Das wollen ja nicht einmal die reichen Russen, die ihre Kinder auf Schulen und an Universitäten im Westen schicken.“
China profitiert von Russlands Krise
Unabhängig davon, wie lange der Krieg noch andauere, werde Russland danach seinen Status als Weltmacht eingebüßt haben, ist Karl von Habsburg überzeugt. Und er blickt über den aktuellen Krieg und seine Konstellationen hinaus: „China, der alte Rivale Russlands in Asien, wird davon profitieren.“ Schon jetzt gelte Russland für die chinesische Führung nur mehr als Juniorpartner. „China hat Russland längst überholt und ist heute genauso eine der großen Bedrohungen für jenes System von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freier Wirtschaft, für das der Westen allgemein steht.“
Deshalb müsse sich die europäische Außenpolitik mit China befassen: China denke langfristig und rüste militärisch massiv auf. So hätten die USA sieben Militärwerften, die Volksrepublik China aber 19 militärische Großwerften. Peking verfüge bereits über die größte Marine der Welt. „Für China ist das südchinesische Meer das, was für die USA die Karibik ist.“ Bis zum 100-Jahr-Jubiläum ihrer Gründung im Jahr 1949 wolle die Volksrepublik China die Insel Taiwan vollständig integriert haben. Das sei der Zeithorizont, „falls China dieses Ziel militärisch erreichen möchte, denn vollständige Integration bedeutet, dass bis dahin sowohl der Krieg als auch der Wiederaufbau vorbei und erledigt sein müssen“, so Karl von Habsburg, der den fernen Osten von zahlreichen Reisen kennt. DT/sba
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