Der schon jetzt ziemlich kuriose amerikanische Präsidentschaftswahlkampf ist um ein historisches Faktum reicher: Zum ersten Mal überhaupt wird ein ehemaliger Vizepräsident gegen seinen ehemaligen Chef antreten. Dies steht seit Montagabend fest, als bekannt wurde, dass Mike Pence, lange Donald Trumps loyaler Mann im Hintergrund, die nötigen Dokumente für eine Kandidatur bei der Bundeswahlkommission eingereicht hat.
Eine Überraschung stellt dieser Schritt nicht dar – schon länger war erwartet worden, dass Pence seinen Hut in den Ring werfen würde. Hat er in dem von Trump dominierten republikanischen Bewerberfeld eine Chance? Kann er sich womöglich sogar gegen den ehemaligen Amtsinhaber durchsetzen? Wohl kaum.
DeSantis bleibt Trumps Haupt-Konkurrent
In den Umfragen liegt der 64-jährige Pence bislang stets im einstelligen Bereich, während Trump meist auf Zustimmungswerte von über 50 Prozent kommt. Der Haupt-Konkurrent Trumps ist und bleibt Floridas Gouverneur Ron DeSantis, doch auch er liegt momentan mit deutlichem Abstand hinter dem umstrittenen Ex-Präsidenten. Nachdem nun auch Mike Pence ins Rennen eingestiegen ist, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass dies auch so bleibt. Um einen anderen Kandidaten als Trump über die Ziellinie zu bringen, bräuchte es einen starken Kontrahenten, der die gesamte Opposition gegen Trump vereint. Derzeit zersplittert das Bewerberfeld tatsächlich immer mehr. Zumal in dieser Woche auch noch die Bewerbungen des ehemaligen Gouverneurs von New Jersey, Chris Christie, sowie des Gouverneurs von North Dakota, Doug Burgum, erwartet werden. Die Kandidatenliste würde dann auf zehn anwachsen.
Nun könnte man einwenden, dass zahlreiche Vorwahlkämpfe ihre eigene Dynamik entwickelten, sobald in den ersten Bundesstaaten die Stimmen abgegeben wurden, siehe Trumps Überraschungserfolg 2016. Das stimmt zwar, jedoch spricht gegen Pence noch ein äußerst gewichtiges Argument: Trotz seiner leisen Töne und allenfalls vorsichtiger Kritik am Polarisierer Trump ist er unter dessen Anhängern nahezu verhasst. Seitdem er sich im Januar 2021 weigerte, Trumps Versuche zu unterstützen, den legitimen Wahlsieg Joe Bidens zu kippen, gilt er im Trump-Lager als Verräter. Eine breite Abwanderung der republikanischen Wähler von Trump zu Pence ist daher nahezu ausgeschlossen.
So bleibt die ernüchternde Erkenntnis: Trotz seiner klassischen konservativen Positionen, die er – anders als Trump – aus Überzeugung, nicht aus Kalkül vertritt, wird der Stern des Mike Pence wohl schnell wieder verglühen. In diesen Zeiten geht es in der „Grand Old Party“ nämlich kaum noch um Haltung. Es geht allein um Donald Trump.
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