Helsinki

Päivi Räsänen: Die Bibel auf der Anklagebank

Nach einem Bibel-Tweet geriet die finnische Politikerin Päivi Räsänen ins Fadenkreuz der Polizei.
Finnische Politikerin Päivi Räsänen
Foto: Markku Ojala (COMPIC) | Päivi Räsänen (links) muss sich vor Gericht verantworten, weil sie ihre persönlichen Überzeugungen öffentlich äußerte.

Einen Bischof und eine Abgeordnete, die im Kreuzverhör einer Staatsanwältin ihren Glauben verteidigen, sieht man nicht alle Tage. Genau dieses Ereignis hatte Dutzende Demonstranten trotz eisigem Wind am 24. Januar vor das Bezirksgericht in Helsinki gebracht. Auf ihren Plakaten stand: „Darf man noch sagen was man glaubt?“ Oder: „Rede- und Religionsfreiheit!”

Ein Schwarm Reporter mit Kameras stand bereit, um die ehemalige finnische Innenministerin und derzeitige Oppositionsparlamentarierin,Päivi Räsänen, sowie Bischof Juhana Pohjola zu empfangen. Im Juni 2019 hatte die Protestantin Räsänen auf Twitter die Entscheidung ihrer Kirchenleitung hinterfragt, das Pride Event in Helsinki offiziell zu unterstützen. Ihrem Tweet fügte sie ein Foto von Versen aus dem Römerbrief hinzu, denn sie war der Ansicht, dass sich die Entscheidung nicht mit der biblischen Lehre vereinbaren ließ.

Polizei empfahl, die Untersuchungen nicht weiterzuführen

Die Polizei verhörte Räsänen daraufhin mehrere Stunden lang dazu, wie die Politikerin darüber denke,  was der Apostel Paulus über die menschliche Ehe und Sexualität geschrieben hat. Die finnische Polizei untersuchte außerdem Aussagen, die Räsänen in einer Radiodebatte (im Jahr 2019) zu dem Thema  gemacht hatte und eine Broschüre, die die Politikerin im Jahr 2004 für ihre Kirche verfasst hatte.

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Am Ende empfahl die Polizei, die Untersuchungen nicht weiterzuführen. Ihrer Einschätzung nach lag kein Verbrechen vor. Doch die Generalstaatsanwaltschaft erhob im April 2021 offiziell eine Anklage gegen Räsänen und Bischof Pohjola wegen „ethnischer Agitation“, also etwas, was heute oft als „Hassrede“ bezeichnet wird. Im finnischen Strafgesetzbuch fällt dieses Verbrechen unter „Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Die Höchststrafe für das Vergehen beträgt zwei Jahre Gefängnis.

In ihrem Eröffnungsplädoyer bestanden die Staatsanwältinnen darauf, dass der Fall nichts mit der Bibel zu tun habe, sondern mit Diskriminierung. Gleich darauf begannen sie jedoch, Bibelverse zu zitieren und argumentierten, dass die Forderung „Liebe den Sünder, hasse die Sünde” unmoralisch sei. Man könne die Taten einer Person nicht von deren Identität trennen, so die Staatsanwaltschaft. Wenn Räsänen also bestimmte Lebensentscheidungen kritisiere, dann könne sie auch damit den unveräußerlichen Wert einer Gruppe verletzen. Davor müsse der Staat die Menschen schützen. Die Staatsanwältinnen brachten jedoch keine entsprechenden Opfer der angeblichen Diskriminierung als Beweis vor.

Obwohl derartige Fälle mit der Vorlage der „Beweise“ gegen die Angeklagten beginnen, schweifte die Staatsanwaltschaft gleich in ihrer Argumentation ab. Der Richter wies sie mehrmals zurecht, doch die Argumentation kostete so viel Zeit, dass die Medien am Morgen nur eine Seite hörten. Es liegt die Vermutung nahe, dass es nicht ausschließlich darum ging, den Fall im Gerichtssaal zu gewinnen, sondern vielmehr in der öffentlichen Meinung.

Es geht um Religionsfreiheit

Räsänens Team legte dann ein starkes Plädoyer für die Meinungsfreiheit vor und argumentierte, dass es bei religiösen Texte um das Herzstück der Religionsfreiheit gehe. Wenn der Staat die Weitergabe dieser Texte und deren Lehre regulieren würde, dann bedrohe und untergrabe dies die Freiheiten, die wir in einer pluralistischen Gesellschaft genießen.

Am späten Nachmittag kamen schließlich die beiden Angeklagten zur Sprache. Räsänen erläuterte den Kontext ihrer Äußerungen. Die Kritik ihres Tweets habe sich an ihre Kirchenleitung gerichtet. Nirgendwo diskriminiere sie eine sexuelle Minderheit. Sie räumte ein, dass einige Formulierungen in ihrer fast zwanzig Jahre alten Broschüre veraltet seien. Dennoch argumentierte Räsänen, dass diese Artikel wie andere akademische Texte, die ähnliche Aussagen enthalten, als Zeitdokument bestehen bleiben sollten. Sie wies auf viele Stellen in ihrer Broschüre hin, die mehrfach die Liebe Gottes für alle Menschen betonten.

Zum Abschluss nahm die Staatsanwaltschaft Bischof Pohjola ins Kreuzverhör. Welches Verhältnis besteht zwischen dem Alten und dem Neuen Testament? Glauben Sie, dass religiöse Äußerungen über dem Gesetz stehen? Würden Sie das Gesetz der Bibel oder das Gesetz Finnlands befolgen? Hier befragte eine Top-Staatsanwältin einen Bischof über seinen Glauben.

"Nun nennt sie auch noch Christen Sünder"

Doch Bischof Pohjola wies jegliche Vorwürfe zurück. Abschließend kritisierte er, dass die Staatsanwaltschaft inhaltlich die Bibel bewertet und abwertende Aussagen über diejenigen gemacht habe, die an das klassische Christentum glauben. Seiner Meinung nach sei sie in keiner Weise neutral gewesen.
Ein Karikaturist brachte die Ereignisse des Tages und die falsche Interpretation theologischer Fragen der Staatsanwaltschaft auf den Punkt: In seiner Zeichnung erklärt Räsänen: „Christen sind auch Sünder.“ Die wild um sich fuchtelnde Staatsanwältin erwidert empört: „Sie hört und hört nicht auf, Gruppen verschiedenster Art zu beleidigen. Nun nennt sie auch noch Christen Sünder!“

Das Gericht vertagte sich und die Schlussplädoyers wurden auf Mitte Februar verschoben. Während die Welt auf das Urteil wartet, sind die Ereignisse des Tages eine abschreckende Warnung für alle, die glauben, ihre Meinung in Europa frei äußern zu können, ohne staatliche Zensur befürchten zu müssen.


Die Autorin ist Medienbeauftragte der Menschenrechtsorganisation ADF International (Allianz für die Freiheit).

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