Kaum hatte er den halbjährlich rotierenden EU-Ratsvorsitz inne, begab sich der ungarische Regierungschef Viktor Orbán auf Reisen: Im Alleingang, ohne EU-Mandat, ja ohne Rücksprache mit seinen Kollegen in den übrigen 26 Regierungen oder mit der EU-Kommission verhandelte er in Kiew, Moskau und Peking. Das war kein Durchbruch zum Frieden, sondern ein europäisches Eigentor. Viktor Orbán hat die Position Europas damit geschwächt, die EU als gespaltenen Haufen präsentiert und Putin eine Freude bereitet.
Jetzt wollen nicht nur einzelne EU-Mitgliedstaaten, sondern sogar die EU-Kommission den ungarischen Ratsvorsitz zur Strafe boykottieren. Nur noch Beamte, aber keine Minister oder Kommissare sollen zu den informellen Treffen unter ungarischem Vorsitz reisen. Auch das ist ein europäisches Eigentor, denn auch auf diese Weise wird die Position Europas geschwächt, die EU als gespaltener Haufen präsentiert und Putin eine Freude bereitet.
Zur Geschlossenheit zurückfinden
Der ungarischen Regierung den EU-Ratsvorsitz zu entziehen oder das Halbjahr zu verkürzen, ist rechtlich unmöglich. Viktor Orbán und seine Regierung zu boykottieren und auszugrenzen, ist psychologisch falsch und politisch kontraproduktiv. Dass Orbán die europäischen Spielregeln bricht, ist kein Freibrief für andere, dasselbe zu tun – schon gar nicht für die EU-Kommission als Hüterin der europäischen Verträge. Die Herausforderung ist viel steiler: Sie besteht darin, Orbán einzubinden.
Statt kindische Sandkastenspiele auszutragen, müssen alle angesichts der blutigen Realität des tatsächlichen Kriegs in der Ukraine zu neuer Ernsthaftigkeit zurückfinden. Auch wenn über die Wege heftig gestritten wird: Alle in Europa wollen Frieden – alle außer Wladimir Putin. Darum muss Europa zur Entschlossenheit und zur Geschlossenheit zurückfinden: für den Frieden und gegen den Kriegstreiber im Kreml.
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