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Die Stunde Chinas naht

Der wahnwitzige Überfall Putins auf die Ukraine gibt Peking die Gelegenheit, zur Weltmacht Nummer Eins aufzusteigen.
Jahrestagung des Volkskongresses in China
Foto: Li Xin (XinHua) | Fahnen wehen auf der Großen Halle des Volkes, Austragungsort der Jahrestagung des chinesischen Volkskongresses. +++ dpa-Bildfunk +++

Warum hat China sich im UN-Sicherheitsrat nicht auf die Seite Russlands gestellt, sondern sich enthalten? Warum hat es den Überfall Wladimir Putins auf die Ukrainenicht genutzt, um seinerseits Taiwan zu überfallen, auf das es ebenso viel Recht beansprucht wie der Kremlchef auf die Ukraine? Warum äußert sich China so ausgewogen, so abwägend – und vor allem so leise?

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Globaler Maßstab

Für all das gibt es nur einen einzigen Grund: China denkt und plant in einem globalen Maßstab. Es schlägt sich nicht auf die eine oder andere Seite, sondern sieht sich als „Reich der Mitte“, das anderen die Bedingungen diktiert. Und seine Stunde naht: Zunächst muss Putin begreifen, dass er mit seinem verrückten Krieg nicht ein Land zerstört, sondern zwei – die Ukraine und Russland. Die Ukraine muss begreifen, dass der Westen in jeder Hinsicht solidarisch ist – nur nicht mit rettenden Truppen. Der Westen muss begreifen, dass er am Rande eines Weltkriegs steht – und keinen Ausweg findet. Dann schlägt Chinas Stunde.

Peking hält sich neutral, weil es so zum rechten Zeitpunkt als einzig möglicher Vermittler auftreten kann, als vermeintlich „ehrlicher Makler“, als Friedensstifter am Rand eines Dritten Weltkriegs. China – von Putin bewundert, vom Westen gefürchtet – sieht sich in der Lage, einen Deal nicht nur zu verhandeln, sondern auch zu garantieren. Nur noch kurze Zeit, und Putin wird heilfroh sein, wenn er eine Aufhebung der Sanktionen und eine vielleicht zehnjährige Neutralität der Ukraine herausholen kann; nur noch kurze Zeit, und die Ukraine wird dankbar sein, ihre Staatlichkeit und Unabhängigkeit um irgendeinen Preis verteidigt zu haben; nur noch kurze Zeit, und der Westen wird froh sein, die Sanktionen aufheben und die Geschäfte wieder aufnehmen zu können. Und alle werden erleichtert – und China devot dankbar – sein, wenn die Welt an einem Dritten Weltkrieg vorbeischrammt.

China diktiert

Wenn China diesen Deal verhandelt, weil der Westen parteiisch und die Lage verfahren ist, dann ist Peking die unumstrittene Weltmacht Nummer Eins. Dann diktiert die kommunistische Diktatur China die Spielregeln einer neuen Weltordnung. Und Xi Jinping setzt seine Strategie der lautlosen Eroberung und des neuen, nicht-militärischen Kolonialismus im weltweiten Maßstab fort. Ab sofort aber unter dem dankbaren Applaus der Welt. Putin hat das regionale Spiel blutig begonnen, doch China könnte es global gewinnen.

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Stephan Baier Wladimir Wladimirowitsch Putin Xi Jinping

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