Der Deutsche Ethikrat hat heute in Berlin seine für September angekündigte und von vielen mit Spannung erwartete Stellungnahme zum Suizid vorgestellt. Das 132 Seiten umfassende Werk trägt den Titel „Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit“ und kann von der Webseite des Expertengremiums, das Bundesregierung und Parlament, in ethischen Fragen berät, heruntergeladen werden.
Wie die Vorsitzende des Rates, die Medizinethikerin Alena Buyx, bei der Präsentation der Stellungnahme vor der Bundespressekonferenz erklärte, sei es dem Rat nicht um eine detaillierte Auseinandersetzung mit den im Bundestag bereits in Erster Lesung beratenen Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz gegangen. Statt konkrete Regelungsempfehlungen zu erteilen, habe sich der Rat mit drei Themenkomplexen beschäftigt, die aus seiner Sicht jedoch „für alle Gesetzesentwürfe höchste Relevanz“ besäßen.
Fokus liegt auf Suizidprävention
„Suizidalität“ umfasse „ein breites Spektrum“ von „personalen, sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen.“ Neben individuellen Faktoren nähme auch „die soziale und gesellschaftliche Umwelt Einfluss darauf, ob und wie Suizidgedanken entstehen, verstärkt oder abgeschwächt werden“, so die Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Technischen Universität München.
„In aller Regel gingen“ Suizidgedanken „ein längerer Prozess innerer und äußerer Einengungen und Belastungen“ voraus. Daher gelte: „Wer sich damit beschäftigt, ob und gegebenenfalls wie die Beihilfe zum Suizid in Deutschland reguliert werden soll, der muss gleichzeitig die Bedingungen und Verantwortlichkeiten einer echten und umfassenden Suizidprävention in den Blick nehmen“, so Buyx weiter.
„Weites Feld für systemische Verbesserungen“
So heißt es etwa in der Stellungnahme: „Die Anerkennung des Rechts der Menschen, sich auch und gerade aus existentieller Not gegen eine Fortsetzung ihres Lebens zu entscheiden, entlastet Staat und Gesellschaft jedoch nicht von der Verantwortung, solchen Notlagen entgegenzuwirken. Schon aufgrund der Verpflichtung zum Integritäts- und Lebensschutz müssen sie so weit wie möglich darum bemühen, dass Menschen nicht in Situationen geraten und verbleiben, in denen sie den Tod als vermeintlich kleineres Übel dem Tod vorzuziehen genötigt sehen.“
„Angesichts der fortschreitenden Vereinsamung insbesondere vieler älterer Menschen“, „zum Teil bestehender sozialer Not“ und „noch immer vorhandener oder teilweise sogar wachsender Defizite“ bei der psychotherapeutischen und palliativmedizinischen Versorgung kranker und schwerstkranker Menschen, eröffne sich hier „ein weites Feld für systemische Verbesserungen“.
Pflicht zur Eindämmung einer Suizide generierenden Kultur
„Einrichtungen und Institutionen des Gesundheits-, Sozial-, und Bildungswesens“ müssten „Angebote der Begleitung und Beratung an den Zielen der Suizidprävention orientieren“. Dazu gehöre auch eine „verantwortungsvolle Analyse und Eindämmung jeglicher suizidgenerierender Institutions-, Gesprächs- und Interaktionskulturen“.
Nach Ansicht des Deutschen Ethikrates ist auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Erhalt suizidfreier Zonen weiterhin möglich. Wichtig ist das vor allem für Krankenhäuser und Pflegeheime katholischer Träger. So heißt es in der Stellungnahme: „Weil niemand verpflichtet ist, Suizidassistenz zu leisten, kann sie jeder Bewohnerin bzw. jedem Bewohner mit dem Hinweis auf das Selbstverständnis der Einrichtung, auf die professionsethische Wertorientierung oder auf die private Haltung verweigert werden.“ DT/reh
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