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Der Mythos vom „guten Marx“ im Bundestag

Eine alte Legende: Karl Marx war gar nicht so schlimm. Zuletzt hat sie Gregor Gysi als Alterspräsident im Parlament ausgebreitet. In einem Gastbeitrag räumt Konrad Löw, einer der profundesten Marx-Kritiker, mit diesen Geschichtsfälschungen auf.
Gregor Gysi im Wahlkampf 2015 vor einem Karl-Marx-Denkmal in Chemnitz
Foto: Copyright: xDreamstimexBiserkox (www.imago-images.de) | Gregor Gysi im Wahlkampf 2015 vor einem Karl-Marx-Denkmal in Chemnitz. Als Alterspräsident eröffnete er die erste Sitzungsperiode des 21. Bundestages - und lobte Marx als weltweit einen der bekanntesten Deutschen.

Der Linke Gregor Gysi eröffnete als Alterspräsident die erste Sitzung der 21. Periode des Deutschen Bundestages. Für Eingeweihte kaum überraschend fand auch, wie zu DDR-Zeiten in der Volkskammer, Karl Marx Erwähnung, „weltweit einer der bekanntesten Deutschen…  Selbstverständlich darf auch er kritisiert werden. Aber er ist und bleibt ein großer Sohn unseres Volkes und man sollte wenigstens eine Universität nach ihm benennen, vielleicht die, die sich in seiner Geburtsstadt in Trier befindet. Das verpflichtet niemanden an der Universität, marxistisch zu werden, zumal Karl Marx, als der Begriff des Marxismus aufkam, erklärte, kein Marxist zu sein.“ Soweit Gysi aus diesem Anlass.

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Doch von Marx gibt es keinen entsprechenden Beleg. Er hat es abgelehnt, mit „diesen Marxisten“ in einen Topf geworfen zu werden. Er blieb bei seinen Dogmen, so bei der „Diktatur des Proletariats“ als Notwendigkeit. In der DDR galt er offiziell als „größter Sohn des deutschen Volkes“, der allgegenwärtig zu sein hatte. Und heute „weltweit“? Wirklich? 

Marx war Jude. Da kann man doch erwarten, dass er uns in Israel, dem Judenstaat, begegnet. Doch auf keiner meiner Reisen dorthin stieß ich auf irgendein Marx-Souvenir. Die Erklärung für diesen schier unglaublichen Sachverhalt lautet mit den Worten des Juden Franz Jona Fink: „What Jew could forget the mass extermination of 1943 [Auschwitz] when he reads the death sentence of 1843?“ Gemeint ist Karl Marx:  „Zur Judenfrage“ aus dem Jahr 1843. Marx war ein bissiger Antisemit und so ein Werkzeug für die NS-Propaganda! 

Marx als Vordenker des roten Terrors

Das weltweit bekannte „Schwarzbuch des Kommunismus“, 1998 in erster Auflage erschienen, endet mit dem von Stéphane Courtois verfassten Kapitel, das die Aufschrift trägt: „Warum?“ Es folgt auf den Nachweis, dass die kommunistische Welt annähernd 100 Millionen Menschenleben vernichtet hat. Und was hat der namhafteste Kommunist, Marx, damit zu tun? Courtois weiß nicht so recht, ob er ihn mit den Verbrechen in Verbindung bringen darf. Er schreibt: Die „Herrschaft der Tugend“ tötete während der Französischen Revolution Zehntausende. Und er fährt fort: „Diese Urerfahrung des Terrors scheint die wichtigsten revolutionären Denker des 19. Jahrhunderts kaum inspiriert zu haben. Marx hat ihr wenig Aufmerksamkeit geschenkt.“

Auch später nimmt Courtois Marx vorsichtig aus der Schusslinie: „Gewiss betonte und forderte er die ‚Rolle der Gewalt in der Geschichte‘. Aber er sah darin eine sehr allgemeine These, die nicht auf eine systematische, absichtliche Gewaltanwendung gegen Personen ziele.“  Mit den einschlägigen, unheilschwangeren Äußerungen von Marx und Engels setzt er sich nicht auseinander. So entstand die Idee, auf das „Schwarzbuch des Kommunismus“ ein „Rotbuch der Kommunistischen Ideologie“ folgen zu lassen, das auf über 300 Seiten jene Originalzitate von Marx und Engels enthält, die mir für eine fundierte Urteilsbildung über Marx und Terror notwendig erschienen. 

Der Bundestag sollte sich nicht zum Mordgehilfen machen lassen

Der Zufall wollte es, dass ich in dieser Zeit die Einladung zu einem Gedankenaustausch erhielt, an dem auch Stéphane Courtois teilnehmen sollte. Im Anschluss an Courtois‘ Referat brachte ich die Sprache auf sein „Warum?“ und konfrontierte ihn mit recht eindeutigen Marxzitaten, so mit bekannten Parolen aus „Das Manifest der Kommunistischen Partei“ von 1848. Hier ein Beleg: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung.“  Darauf er – zum Staunen des Auditoriums: Er habe das „Manifest“ als Buchhändler zwar vertrieben, aber offenbar nie zu Ende gelesen. Er zeigte sich erschüttert. Das ermutigte mich, ihn um ein Vorwort zu meinem „Rotbuch“ zu bitten, und er willigte ein.

In ihm bekennt er: „Ich hatte nicht die Gelegenheit, bestimmte Texte von Marx und Engels nochmals zu lesen, um meine Bewusstseinsbildung hinsichtlich der kommunistischen Tragödie zu erhellen... Nach den wichtigen Debatten, die das ‚Schwarzbuch‘ insbesondere in Deutschland ausgelöst hat, versucht die extreme Linke, die kommunistischen Verbrechen hinter der (angeblichen) Reinheit des marxistischen Ideals zu verstecken... Nachdem sie sich jahrzehntelang rechtfertigte, indem sie dem ‚schlechten Stalin‘ den ‚guten Lenin‘ gegenüberstellte, verteidigt sie sich heute mit der Gegenüberstellung des ‚guten Marx‘ und des ‚schlechten Lenin‘.“ Diese Gegenüberstellung ist ihm ebenso fragwürdig wie die von Lenin und Stalin.

Der Bundestag ist gut beraten, wenn er sich nicht gutgläubig zum Mordgehilfen machen lässt.


Der Autor war bis zu seiner Emeritierung 1999 Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Bayreuth. Seine Hauptwerke zu diesem Thema sind „Der Mythos Marx und seine Macher. Wie aus Geschichten Geschichte wird.“, „Die Lehre des Karl Marx. Dokumentation. Kritik“ und „Das Rotbuch der kommunistischen Ideologie. Marx & Engels – Die Väter des Terrors. Mit einem Vorwort von Stéphane Courtois, Herausgeber von Schwarzbuch des Kommunismus“.

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