Beinahe hätte der Krieg in der Ukraine die Weltpolitik vergessen lassen, dass Syrien weiterhin nicht befriedet und der Irak noch immer von Krisen geschüttelt ist. Doch die türkischen Luftschläge im Norden beider arabischer Nachbarstaaten und ihr Eskalationspotenzial haben den Krisenherd Nahost neuerlich in den Fokus der Aufmerksamkeit – und hoffentlich auch der Hilfsbereitschaft – gerückt.
Keine stabile Ordnung
Im Irak haben die USA unter George W. Bush die Diktatur von Saddam Hussein zerschlagen, ohne eine stabile Ordnung etablieren zu können. In Syrien haben der Westen, Saudi-Arabien und die Türkei auf den Sturz des Assad-Regimes gesetzt und damit nur Tod, Leid und Chaos hervorgebracht, aber weder einen Regimewechsel noch stabile Verhältnisse. In beiden Ländern jedoch haben die Kurden an Gewicht gewonnen und kontrollieren mehr oder weniger autonome Gebiete im jeweiligen Norden.
Sie sind Ankara nicht nur aktuell, sondern grundsätzlich ein Dorn im Auge: Der türkische Staat will jede Etablierung eines funktionierenden Kurdenstaates verhindern, weil die Mehrheit des kurdischen Volkes auf türkischem Staatsgebiet lebt und von einem blühenden Kurdistan (etwa im Nordirak) inspiriert werden könnte. Diese anti-kurdische Grundhaltung hat Präsident Erdoğan nicht erfunden, aber geerbt. Es ist und bleibt Atatürks militanter Nationalismus, der die Türkei dazu verleitet, die Kurden immer und immer wieder zum Sündenbock zu machen.
Gegen Kurden
Jetzt war es der Terrorakt von Istanbul, den die AKP-Regierung blitzschnell kurdischen Terroristen zuordnete, um sogleich gegen die kurdischen Milizen PKK und YPG sowie gegen die Gebiete im Norden Syriens und des Irak loszuschlagen. Wenn es gegen die Kurden geht, beansprucht die Türkei ein Recht auf militärische Operationen jenseits seiner Grenzen. Sie schielt dabei aber stets misstrauisch und besorgt auf die Kurden im eigenen Land.
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