Seit Sonntagabend ist die politische Landschaft Österreichs gründlich durchgepflügt – und damit auch die Wahrnehmung der Alpenrepublik in Europa. Die EU-skeptische und Putin-freundliche, mit ausländerfeindlichen Narrativen spielende FPÖ hat einen fulminanten Wahlsieg errungen. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik ist die FPÖ bei einer Nationalratswahl auf dem ersten Platz gelandet und übertraf noch den Wahlerfolg Jörg Haiders, der 1999 halb Europa schockte. Die Kanzlerpartei ÖVP dagegen stürzte brutal ab, die mitregierenden Grünen ebenso. Und die oppositionelle SPÖ fuhr das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein.
Plötzlich ist Österreich nicht mehr das gemütliche, „beschauliche“ (wie eine deutsche Zeitung ferndiagnostisch noch am Sonntag schrieb), malerische Alpenland zwischen Walzerseligkeit und Würstelstand, zwischen Wiener Opernball und Salzburger Festspielen, zwischen Sissi-Kitsch und Mozartkugeln. Seit Sonntagabend fragt man sich in Europa, ob Österreich die nächste gefallene Bastion der liberalen Demokratie sei, ein Land, in dem die Rechtsextremen Wahlsiege erringen und die traditionellen Parteien den Bürgerzorn zu spüren bekommen. Offenkundig ist, dass es der FPÖ gelang, die Stimmen der Unzufriedenen aller Krisen zu sammeln.
Welche ihrer Inhalte will die ÖVP opfern?
Das „beschauliche“, romantische, leicht aus der Zeit gefallene Österreich war schon immer ein Touristen-Schmäh und ein oberflächlicher Marketing-Gag. Die FPÖ, die schon seit 35 Jahren von einer „Festung Österreich“ träumt, die gegen „das System“ und „die in Brüssel“, gegen Muslime und Migranten polemisiert, gehörte schon drei Mal der Bundesregierung an: von 1983 bis 1987 in einer Koalition mit den Sozialdemokraten, von 2000 bis 2007 und neuerlich von 2017 bis 2019 mit den Christdemokraten. Wenn sich aber alle Parteien jetzt an ihre Wahlversprechen halten, wird FPÖ-Chef Herbert Kickl nicht Bundeskanzler und die FPÖ nicht Regierungspartei.
Die von der Wahlschlappe gezeichneten vormaligen „Großkoalitionäre“ ÖVP und SPÖ könnten im Dreibund entweder mit den liberalen NEOS oder mit den Grünen regieren. Kickl hat – anders als sein ungarisches Vorbild Viktor Orbán – keine absolute Mehrheit errungen. Letztlich liegt es an der ÖVP, welche ihrer Inhalte und Versprechen sie zur Disposition stellen möchte: Von der „Kickl-FPÖ“ trennt sie die Einstellung zu Europa und zum Krieg in der Ukraine, von der „Babler-SPÖ“ trennt sie nahezu alles in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Wie geht es mit der Regierungsbildung in Österreich weiter? Lesen Sie weitere Hintergründe in der nächsten Ausgabe der "Tagespost".