Nach fast 24 Jahren in der Todeszelle ist der pakistanische Christ Anwar Kenneth am 21. Oktober aus dem Zentralgefängnis von Faisalabad entlassen worden. Das berichtet die Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI), die Kenneths Anwaltsteam unterstützt hatte. Der 72-Jährige war 2002 wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilt worden. Der Oberste Gerichtshof Pakistans hatte das Urteil bereits im Juni 2025 aufgehoben, doch erfolgte die Freilassung erst jetzt.
Kenneth war 2001 im Alter von 48 Jahren verhaftet worden, nachdem er einem muslimischen Gelehrten einen Brief geschrieben hatte, in dem er seinen christlichen Glauben darlegte. Der Inhalt des Schreibens wurde als Verleumdung des Propheten Mohammed gewertet. Ein Gericht in Lahore verurteilte ihn daraufhin im Juli 2002 zum Tod durch den Strang und zu einer Geldstrafe. Auch der Lahore High Court bestätigte 2014 das Urteil.
„Anwar Kenneth ist ein unschuldiger Mensch, der keine Blasphemie begangen hat“, erklärte sein Rechtsanwalt Rana Abdul Hameed Khan, der den Fall seit Jahren betreute. Er sprach von „dem größten Fall in der Rechtsgeschichte Pakistans“. Der Jurist sei während des Verfahrens mehrfach bedroht worden, so der CSI-Bericht.
Zuletzt vermehr Anklagen wegen „Online-Blasphemie“
Laut CSI hatte Kenneth zeitweise ohne anwaltliche Vertretung im Gefängnis ausgeharrt, nachdem staatlich bestellte Verteidiger das Mandat niedergelegt hatten. Erst mit Unterstützung der Organisation konnte das Berufungsverfahren am Obersten Gerichtshof durchgesetzt werden.
Der Fall lenkt erneut den Blick auf den Missbrauch der pakistanischen Blasphemiegesetze, die seit 1987 gelten. Die Beleidigung des Propheten Mohammed steht dort unter Todesstrafe. Nach Angaben eines Berichts von 2022 wurden seither fast 2.000 Menschen wegen Blasphemie angeklagt, 86 von ihnen wurden von aufgebrachten Menschenmengen getötet.
Menschenrechtler warnen, dass die Gesetze ein Klima der Straflosigkeit fördern. „Falsche Vorwürfe können leicht als Waffe eingesetzt werden“, erklärte CSI. Besonders Angehörige religiöser Minderheiten und sozial Schwache seien gefährdet, weil sie sich keine wirksame Verteidigung leisten könnten. In den vergangenen Jahren habe zudem die Zahl der Anklagen wegen sogenannter Online-Blasphemie stark zugenommen – häufig würden junge Christen zur Zielscheibe selbst ernannter Bürgerwehren.
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