Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Kommentar zu Bidens Rückzug

Biden ist als Versöhner gescheitert

In seiner Amtszeit versäumte es der zweite katholische US-Präsident, die Anliegen des konservativen Amerikas zu berücksichtigen. Mit seinem Rückzug trifft er die richtige Entscheidung.
Joe Biden kandidiert nicht noch einmal für das Präsidentenamt
Foto: IMAGO/Jakub Porzycki (www.imago-images.de) | Mit seinem Rückzug aus dem Rennen um die Präsidentschaft hat Joe Biden die richtige Entscheidung getroffen, auch wenn diese dem von seinem Umfeld durchaus als stur und dickköpfig beschriebenen Amtsinhaber sicher ...

Von Anfang an hatte Joe Biden seine Präsidentschaft unter das Stichwort der Einigkeit gestellt. „Meine ganze Seele ist dem Ziel gewidmet, Amerika zusammenzuführen, unser Volk zu einen. Unsere Nation zu einen“, erklärte Biden in seiner Amtseinführungsrede im Januar 2021. Er werde der Präsident aller Amerikaner sein und für diejenigen, die ihn nicht gewählt haben, genauso hart kämpfen, wie für diejenigen, die ihn unterstützten. Ohne Einigkeit gebe es keinen Frieden, „nur Bitterkeit und Wut“.

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Am Sonntag erklärte der 81-jährige Demokrat, im November doch nicht die Wiederwahl anzustreben – ein Schritt, der in den letzten Tagen nach massivem Druck führender Parteivertreter und von Großspendern zunehmend erwartet worden war. Während Biden, nach John F. Kennedy der zweite Katholik im Weißen Haus, seine Amtszeit noch planmäßig bis Januar 2025 zu Ende führen will, lässt sich schon jetzt feststellen: In seinem Ziel, als großer Versöhner Amerikas, eines tief gespaltenen Landes, in Erinnerung zu bleiben, ist er gescheitert.

Für Katholiken nie die natürliche Wahl

Die ambitionierten Worte, die US-Präsidenten meist zu Beginn ihrer Amtszeit ans Volk richten, sind zwar aller Ehren wert. Doch es hätte eben nicht nur Worte gebraucht, sondern Taten wären notwendig gewesen, um dem Anspruch, die Polarisierung zu überwinden, gerecht zu werden. Zu häufig traf Biden in seinen dreieinhalb Jahren im Oval Office in dieser Hinsicht Entscheidungen, die doch hauptsächlich einer Hälfte Amerikas, nämlich der progressiven, zugutekamen, die berechtigten Anliegen Konservativer allerdings vernachlässigten.   

Ganz offen zeigte sich dies im Bereich der Gesellschaftspolitik und hier wiederum beim Thema Abtreibung. Als gläubiger Katholik war Biden, der zwar stets betonte, Abtreibungen als Privatperson weiter abzulehnen, von Anfang an dem Vorwurf ausgesetzt, die Lehre der Kirche zu missachten. Als Präsident sprach er sich nicht nur immer wieder für einen möglichst freien Zugang zu Abtreibungen aus und wiederholte regelmäßig seine Forderung, das umstrittene Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ müsse in ein nationales Gesetz überführt werden. Er baute auch zahlreiche Hürden zur staatlichen Finanzierung von Abtreibung ab und schwenkte im Laufe seiner Amtszeit immer mehr auf die progressive Abtreibungsagenda seiner Partei ein.

Für Katholiken, die schon seit vielen Jahren bei Wahlen nicht als geschlossener Block ihre Stimme abgeben, galt Biden daher nie als die natürliche Wahl. Insbesondere konservative Katholiken und solche, die regelmäßig die heilige Messe besuchen und ihren Glauben im Alltag auch wirklich praktizieren, gaben daher ihre Stimme lieber dem persönlich nicht als fromm geltenden Trump. Man mag es ihnen nicht verdenken, hatte Biden ihnen doch nie ein vernünftiges Angebot gemacht oder einen Grund gegeben, ihn zu wählen. Dass Trump hingegen, insbesondere durch die Ernennung konservativer Richter auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene, für diese Wählergruppe viel erreichte, ist bekannt.

Bidens Scheitern ist nicht allein seine Schuld

Gleichzeitig muss man bei fairer Betrachtung berücksichtigen, dass das Scheitern auf dem Weg der Versöhnung nicht Biden allein anzulasten ist. In einer von Flügelkämpfen gezeichneten Partei, die sich in den vergangenen Jahren immer weiter nach links bewegte, war Biden darauf angewiesen, dem progressiven Lager Zugeständnisse zu machen. Auch wenn er selbst dessen Anliegen nicht immer vollumfänglich teilte – und im Laufe seiner jahrzehntelangen Karriere im Washingtoner Politik-Betrieb eher als Mann des überparteilichen Kompromisses galt. Doch inzwischen sitzen zu viele Volksvertreter im Kongress, denen eine solche Kompromisskultur fremd ist, die den Kompromiss gar als Zeichen der Schwäche deuten und sich der parteiübergreifenden Zusammenarbeit verweigern. Jüngstes Beispiel: eine Reform der Einwanderungsgesetzgebung, die nicht an Biden sondern an einer Mehrheit der Republikaner scheiterte, die dem Demokraten den legislativen Erfolg nicht gönnen wollten.

Angesichts der offensichtlichen Anzeichen, sowohl mental wie auch physisch den Strapazen eines Wahlkampfes und auch einer weiteren Amtszeit nicht mehr gewachsen zu sein, angesichts seiner alarmierenden Umfragewerte, angesichts eines Gegenkandidaten Trump, der vor Selbstvertrauen nur so strotzt, muss man sagen: Mit seinem Rückzug aus dem Rennen um die Präsidentschaft hat Biden die richtige Entscheidung getroffen. Und auch wenn dem von seinem Umfeld durchaus als stur und dickköpfig beschriebenen Biden die Entscheidung, seine mehr als 50 Jahre währende politische Karriere auf diese Weise zu beenden, sicher nicht leichtfiel: Vielleicht mag am Ende auch eine aus dem katholischen Glauben heraus begründbare Demut den Ausschlag gegeben haben, trotz des unbedingten Willens, weiterzumachen, am Ende doch seine Bewerbung zurückzuziehen. Joe Biden hat damit die Interessen der Partei über seine eigenen gestellt – etwas, das Donald Trump vermutlich nie tun würde.

Lesen Sie weitere Hintergründe zum US-Wahlkampf in der kommenden Ausgabe der "Tagespost".

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