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„Auf der Suche nach dem engen Tor“

Das 11. Europäisches Katholisches China-Kolloquium beschäftigt sich mit der Situation junger Menschen in China.
Kardinal Rainer Maria Woelki beim 11. Europäischen Katholischen China-Kolloquium
| Kardinal Stephen Chow SJ, Bischof von Hongkong, mit Kardinal Woelki vor der heiligen Messe für die Konferenzteilnehmenden im KSI am 23. August 2024

Über 100 Teilnehmende aus 13 Ländern und Regionen trafen sich vom 22. bis 25. August 2024 im Katholisch-Sozialen Institut in Siegburg, um über die Zukunft der Kirche in China zu sprechen. Chinesen aus Festlandchina, Taiwan und Hongkong machten die Hälfte der Teilnehmer aus – darunter Priester und Ordensleute sowie christliche Laien, von denen viele derzeit als Studierende, Wissenschaftler oder Seelsorger in Europa leben. Zur Vielfalt des Dialogs trug bei, dass die Teilnehmenden verschiedenen christlichen Konfessionen angehörten. Auf der Konferenz sprachen unter anderem Kardinal Stephen Chow SJ von Hongkong sowie Msgr. Mirosław Wachowski, vatikanischer Untersekretär für die Beziehungen zu den Staaten. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki feierte eine heilige Messe mit den Teilnehmern der Konferenz. Das 11. Europäische Katholische China-Kolloquium wurde vom China-Zentrum in Sankt Augustin organisiert. 

Wie geht es jungen Menschen in China, in der Gesellschaft wie in der Kirche? Ihre Sorgen und Wünschen sind denen junger Leute anderswo auf der Welt oft ähnlicher als denen älterer Generationen in China, hieß es in mehreren Konferenzbeiträgen. Nach der Pandemie fühlen sich viele junge Menschen erschöpft, deprimiert und ohne Orientierung. Dazu kommt die Sorge, keine Arbeit zu finden. Anders als die Generation ihrer Eltern glauben sie nicht mehr daran, dass sie durch eigene Anstrengung einen immer höheren Lebensstandard erreichen können. Die Suizidrate unter Jugendlichen ist gestiegen.

Gleichzeitig lehnen immer mehr junge Menschen in China ab, die traditionellen Erwartungen ihrer Eltern – Heirat, Familie, Karriere, Immobilie – zu erfüllen. Sie suchen in einer Welt voller Ungewissheiten nach dem „engen Tor“ zu ihrem eigenen, individuellen Lebensweg – so schilderte es eine junge Katholikin aus China. Aus Taiwan berichtete die Jugendseelsorgerin Sun Shu-Kuan, dass manche Jugendliche seit der Pandemie den Mundschutz nicht mehr abnehmen wollen und sich auf ihr Handy zurückgezogen haben. Sie sind zunächst nur schwer dazu zu bewegen, Beziehungen aufzubauen und Gemeinschaft zuzulassen. 

Betreuung von Inhaftierten in Hongkong

Während in Festlandchina die Regierung versucht, die Jugend von Religion fernzuhalten und vielfach die Beteiligung Minderjähriger an religiösen Aktivitäten verbietet, haben die Kirchen in Taiwan und Hongkong eigene Schulen und Universitäten und können vielfältige Jugendprogramme anbieten. P. Robert Wong SVD, Studierendenseelsorger an der katholischen Fu-Jen-Universität in Taiwan, berichtete, dass er sein Büro in die Lobby eines Studentenwohnheims verlegte, um näher bei den Studierenden zu sein. In Hongkong ist nach den großen Protesten von 2019 die Zahl junger Inhaftierter drastisch gestiegen.

Für sie hat die katholische Diözese Hongkong das Projekt „Light up“ gegründet. Wie Kardinal Chow berichtete, hat es zum Ziel, den jungen Leuten im Gefängnis die Fortsetzung ihres Studiums zu ermöglichen, sie auf den Einstieg ins Arbeitsleben vorzubereiten und ihre Reintegration in die Gesellschaft zu unterstützen. Die Hongkonger Gesellschaft brauche Versöhnung und Heilung, so der Kardinal. Zudem sei die massive Emigration aus Hongkong auch in den Pfarreien spürbar. Oft wandern 40- bis 45-jährige Paare mit ihren Kindern aus, darunter viele Laienführer.

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Bruno Lepeu MEP, ein in Hongkong tätiger französischer Priester, zog aus seiner Befragung junger engagierter Katholiken in Festlandchina hoffnungsvolle Schlüsse. Während die Kirche in China noch sehr klerikal sei, wünschen sich nach Lepeus Beobachtung die jungen Leute eine geschwisterliche Kirche, in die sie sich aktiv einbringen können. Damit erneuert die Jugend die Kirche, so Lepeu. Chinesische katholische Studierende in Europa wiederum erleben die Kirchen dort ambivalent, wie der chinesische Jesuit Ren Andao berichtete. Sie schätzen einerseits die Freiheit und Pluralität religiöser Ausdrucksformen, andererseits empfinden sie die europäischen Kirchen oft als zu institutionalisiert und die Auseinandersetzungen zwischen religiös Konservativen und Progressiven als „zu politisch“. 

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch war ebenfalls ein Thema auf der Konferenz. Der chinesische Priester Josef Gao stellte seinen an der Katholischen Hochschule Nord-rhein-Westfalen in Köln erarbeiteten Entwurf eines Präventionskonzepts für die chinesische Kirche vor. Zwar sind in der chinesischen Kirche bisher keine Missbrauchsfälle offiziell bekannt geworden. Doch sie muss vorbereitet sein und handeln, um Kinder zu schützen und sexuellen Missbrauch zu verhindern, so Gao. 

Theologie darf nicht schweigen

Immer wieder wurde während der Konferenz der Druck auf die christlichen Kirchen in Festlandchina durch die sehr restriktive staatliche Religionspolitik angesprochen. Katholische, protestantische und auch die wenigen orthodoxen Gemeinden im Land machen die Erfahrung von massiver Überwachung, ideologischem Druck, Reglementierung, Einschränkung und teilweise auch dem Verbot ihrer Arbeit.

Der Sozialanthropologe Mark McLeister von der Universität Edinburgh konnte bei seinen Studien zu protestantischen Kirchen in China aber feststellen, dass die behördlichen Vorgaben auf lokaler Ebene manchmal mit einem Pragmatismus behandelt werden, der Spielräume schafft. In der von ihm untersuchten Stadt hatten zwei Pastoren sogar eine kleine kirchliche Gruppe nur für Kader und Parteimitglieder errichtet. Deren Existenz wird geheim gehalten, weil Mitglieder der Kommunistischen Partei in China nicht an religiösen Aktivitäten teilnehmen dürfen. 

Die Theologie darf nicht schweigen zum Leiden der Menschen, sagte der bekannte Christentumsforscher He Guanghu, emeritierter Professor der Renmin-Universität in Peking. Angesichts von Kriegen und Spannungen in der Welt forderte er chinesische Theologinnen und Theologen dazu auf, eine vergleichende „Theologie der Nationen“ und „Theologie der Systeme“ zu entwickeln. Besonders notwendig sei es, den chinesischen Nationalismus zu analysieren, der seit langem von einem übermächtigen Staat (Etatismus) durchdrungen, kontrolliert und verzerrt werde.
China und seine katholische Gemeinschaft liegen Papst Franziskus und dem Heiligen Stuhl ganz besonders am Herzen, versicherte Msgr. Wachowski, der letzte Sprecher des Kolloquiums.

Für die Zukunft sah er die Einheit der katholischen Kirche in China und eine gute Vorbereitung ihrer Bischöfe als wichtigste Anliegen, zusammen mit einer guten Ausbildung und Formung des Klerus, der Ordensfrauen und der Laien. Das erste Europäische Katholische China-Kolloquium fand 1992 in Verona statt. Seither sind diese Kolloquien ein wichtiger Ort der Vernetzung von Personen und Einrichtungen, die mit den christlichen Kirchen in China verbunden sind. DT/China-Zentrum / kwt

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