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Thomas Leyendecker: Diakon mit religiöser Grundmusikalität

Thomas Leyendecker (40) ist Posaunist bei den Berliner Philharmonikern – und wird am kommenden Samstag zum Ständigen Diakon im Erzbistum Berlin geweiht.
Thomas Leyendecker
Foto: OG | Ein Posaunist wird Diakon: Thomas Leyendecker (40).

Für Thomas Leyendecker war der 20. März ein besonderer Tag. Monatelang hat der Posaunist der Berliner Philharmoniker vor einem leeren Konzertsaal gespielt. Wegen der Corona-Pandemie war kein Publikum zugelassen, die Konzerte wurden live gestreamt oder aufgezeichnet – und das ausgerechnet bei dem weltberühmten Orchester, bei dem Karten sonst nur mit langem Vorlauf zu bekommen sind. Doch an diesem Abend war es soweit: Der Berliner Senat wagte das Experiment, Kultureinrichtungen wie Theater oder Konzertsäle unter strengen Auflagen wieder fürs Publikum zu öffnen. Für Thomas Leyendecker war das erste Konzert vor Publikum geradezu überwältigend. Denn Thomas Leyendecker versteht Musik als Dienst an seinen Mitmenschen. „Ich will etwas für andere Menschen tun, ihnen Emotionen oder Gefühle vermitteln – es geht ihm darum, seine Zuhörer glücklich zu machen.“

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Fundamentale Lebensentscheidung

Aus der gleichen Motivation heraus hat der Posaunist und Musikprofessor eine andere fundamentale Lebensentscheidung getroffen. Am kommenden Samstag, den 24. April, wird er sich mit einem weiteren Mitbruder vom Berliner Erzbischof Heiner Koch in der St.-Joseph-Kirche in Berlin-Wedding zum Diakon weihen lassen. Die Motivation dafür, so erzählt der 40-jährige fünffache Familienvater, sei dieselbe wie beim Musizieren: Anderen Menschen einen Dienst erweisen, ihnen Gutes tun – diese Einstellung habe ihn seit seiner Jugend geprägt. In der Nähe von Trier, wo er aufgewachsen ist, habe er bereits mit zwölf Jahren mindestens einmal die Woche ein Seniorenheim besucht, dort ministriert und auch Menschen kennengelernt, die sichtbar dem Tod entgegengingen. „Ich habe damals gespürt, dass das einen Wert hat“, erinnert er sich. Seitdem sei das Engagement in Kirche und Gemeinde immer selbstverständlich gewesen. „Es gab viele Momente oder Erlebnisse, wo ich gemerkt habe: Es ist tatsächlich richtig, was hier passiert“, erzählt Thomas Leyendecker.

Die Gemeindearbeit kennt er von klein auf

Die Entscheidung, den Weg ins Diakonat zu gehen, sei aus diesem Bewusstsein heraus entstanden. „Da kam der Appetit sozusagen beim Essen“, berichtet Leyendecker. 2006 – mit gerade einmal Mitte 20 – wurde er Berufsmusiker bei den Berliner Philharmonikern. Nach vielen Jahren mit ständigen Wohnortwechseln wurde er in der Hauptstadt sesshaft und begann, sich in der örtlichen Pfarrgemeinde St. Mauritius im Stadtbezirk Lichtenberg zu engagieren. Zu seiner Arbeit im Orchester kam schließlich noch eine halbe Stelle als Professor an der Hochschule für Musik in Leipzig hinzu. Beruflich hatte er damit in jungen Jahren bereits viel erreicht. „Doch das kann nicht alles gewesen sein“, habe er sich schließlich gedacht – und eine theologische Ausbildung über den sogenannten „Würzburger Fernkurs“ begonnen, den offiziellen Theologiekurs der Deutschen Bischofskonferenz. Als er seinem Pfarrer davon erzählte, meinte der, ob er nicht auch gleich in die Diakonenausbildung gehen wolle. Leyendecker sagte spontan ja – und hat sich seitdem viereinhalb Jahre lang auf seinen großen Tag am kommenden Samstag vorbereitet.

Die Familie stärkte den Rücken

Während der Ausbildung hätten ihm und seiner Familie viele Mitglieder seiner Heimatgemeinde den Rücken gestärkt. „Dafür sind wir sehr dankbar“, betont Thomas Leyendecker. Dennoch musste er sich dort aus Zeitgründen etwas rar machen. Das habe auch einen gewissen Vorteil gehabt: „Du kannst nicht heute ein normales Gemeindemitglied sein und morgen als Diakon wiederkommen“, meint er rückblickend – und hat stattdessen zwei Jahre lang als Praktikant in der Katholischen Studierendengemeinde in Berlin mitgearbeitet. Nach der Diakonenweihe wird er aber vermutlich in seine Gemeinde im künftigen Pastoralen Raum Friedrichshain-Lichtenberg zurückkehren. Und die „klassische“ Gemeindearbeit kennt Thomas Leyendecker von klein auf. In einer katholisch geprägten Gegend in Schweich bei Trier aufgewachsen, war es völlig normal, sich in der örtlichen Pfarrei zu engagieren. Das habe schon für seine Eltern gegolten, die im Pfarrgemeinderat oder der Erstkommunionkatechese mitgearbeitet hätten. Auch er selbst war Ministrant und Lektor in seiner Heimatpfarrei St. Martin. „Das war alles irgendwie selbstverständlich“, erinnert er sich. Die meisten Kinder wuchsen damals ganz natürlich in die Gemeindearbeit hinein.

Erschwerte Bedingungen

Daher ist es auch völlig klar, dass seine Eltern ebenfalls seine Entscheidung, Diakon zu werden, sehr begrüßen. Bei der Weihe werden sie dennoch aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei sein können – der Weg von Trier nach Berlin sei einfach zu weit. Doch die Heilige Messe wird live gestreamt, denn aufgrund der Corona-Eindämmung werden ohnehin nur wenige Gäste zugelassen sein, darunter die Familie und eine Handvoll Begleiter. Der Diakonenkurs selbst hat sich wegen Corona allerdings nicht verzögert. Manche Kurse hätten als Online-Seminare stattgefunden, für Seminare habe es zum Teil mehrere Termine gegeben, damit die Teilnehmerzahl begrenzt werden konnte. Wenn es dann für Thomas Leyendecker in den aktiven Dienst als Diakon geht, wird er seine „religiöse Grundmusikalität“, wie es der Philosoph Jürgen Habermas einmal formuliert hat, auch durch das Weiheamt ausleben können.

Bereichertes Familienleben

Auch seine Frau steht voll hinter dieser Entscheidung, hat ihren Mann auf dem Weg ins Diakonat stets unterstützt. „Ich habe mich damals mit meiner Frau ergebnisoffen auf den Weg gemacht“, erzählt Thomas Leyendecker. Sie habe seine Entscheidung nicht nur mitgetragen, sondern auch regelrecht mitvollzogen. Und heute sei sie überzeugt, dass der Weg ins Diakonat das Familienleben sogar bereichert habe, unter anderem durch die Familienwochenenden, die Teil der Ausbildung sind. Diese Unterstützung ist für den Musiker umso wichtiger, da die berufliche Belastung zwischen dem Orchester in Berlin, der Professur in Leipzig und der Diakonenausbildung durchaus nicht immer einfach war. Einmal, so erzählt er, sei er am Freitagabend nach einem Konzert zur Ausbildung nach Magdeburg gefahren, dann am Samstagabend zur nächsten Vorstellung nach Berlin zurückgekehrt, um dann am Sonntag wieder im Ausbildungskurs zu sein. Letztlich sei alles eine Planungs- und Kommunikationsfrage. Bei den Philharmonikern gebe es fünf Posaunisten, und da habe er oftmals im Vorfeld mit den Kollegen klären können, wann er für die Ausbildung ein freies Wochenende brauchte. „Es waren schon einige Härten dabei“, meint Thomas Leyendecker. „Aber das war es mir wert.“

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