Als Georg Ratzinger am 1. Juli 2020 starb, kam sein Tod nicht unerwartet und schmerzte doch viele tief. Es war spürbar, dass die Lücke, die er hinterlässt, so groß ist, dass niemand sie zu füllen vermag. Zu stark ist die Strahlkraft dieses Mannes gewesen, der als Priester und Musiker jahrzehntelang einen der besten Knabenchöre der Welt leitete, prägte und zu jenem weichen und in Perspektive zur himmlischen Wirklichkeit gesetzten Klang formte, der die Regensburger Domspatzen unverwechselbar macht.
Blick für das Wesentliche
Wie vielstimmig das Echo ist, das sein Tod hervorrief, wird nicht zuletzt an den weit über tausend Kondolenzschreiben erkennbar, die dem emeritierte Papst Benedikt XVI.aus aller Welt zugingen. Sie machen deutlich, welche Wirkung Ratzinger als Domkapellmeister in Regensburg entfaltete – jene Aufgabe, die er als seine Berufung gesehen hatte und die ihm in der ihm eigenen Bescheidenheit zugleich überwältigend schien, als ihm die Nachfolge von Theobald Schrems angetragen wurde.
Einige von ihnen sind nun, ausgewählt von Erzbischof Georg Gänswein, in einem Band erschienen, der zugleich die Lebensstationen des Verstorbenen nachzeichnet. Die Auswahl der Bilder wirft ein helles Licht auf die Persönlichkeit Georg Ratzingers. Er war ein Mensch, der „eine unaufdringliche, aber starke Strahlkraft hatte“, die aus seinem „Verankertsein in der Mitte“ kam. So beschreibt Alterzbischof Karl Braun die Persönlichkeit Georg Ratzingers, eines Priesters und Musikers, der „einen unbestechlichen Blick für das, was zählt“ hatte, in seinem Kondolenzschreiben an Papst Benedikt.
Ein Segen für die Chorknaben
Genau diese Eigenschaft leuchtet auch aus den Bildern auf, die den gesammelten, gleichsam vor Begeisterung glühenden Dirigenten und die in heller Freude auf ihn und den gemeinsamem Dienst ausgerichteten Chorsänger zeigen. Wie sehr sich der Dienst des Priesters im Leben von Georg Ratzinger mit dem des Musikers verbindet, zeigt ein Blick auf seine zum Dirigat erhobenen Hände. Der Gestus gleicht dem des Segens. Und genau dies ist es, was von seinem Wirken ausging. Viele der Chorknaben, die unter seiner Leitung sangen, tragen genau diesen Segen weiter – sei es als Musiker oder einfach als Mitglieder der weltweiten Catholica.
Deren Gottesdienste sind ohne Musik nicht zu denken. Denn die Musica Sacra, die im Zentrum des Lebens Georg Ratzingers stand, ist, wie Bischof Voderholzer in seiner in diesem Band ebenfalls abgedruckten Predigt beim Requiem am 8. Juli 2020, dem 49. Jahrestag der Priesterweihe des Verstorbenen, betonte, keine schöne Umrahmung. Sie ist „selbst Gebet, Ausdruck des Gebets der versammelten Gemeinde, Antwort auf die Verkündigung des Wortes“. „Singen ist … eine Art fliegen“, zitierte Voderholzer die Bezugnahme Georg Ratzingers auf den biblischen Ursprung des Wortes Domspatzen. Und zu diesem Fliegen gehört Leichtigkeit. Das war Georg Ratzinger bewusst.
Musik, die die Schönheit der Liturgie widerspiegelt
Deshalb bevorzugte er den weichen, sich emporschwingenden Klang gegenüber der kristallinen Härte anderer Ensembles. Als ein Tonmeister bei einer Aufnahme einmal die aus seiner Sicht zu wenig scharfe Artikulation der Domspatzen kritisierte, reagierte Georg Ratzinger mit dem für ihn typischen trockenen Humor und sagte: „Wenn Sie wollen, dass wir schlechter singen, dann sprechen wir jetzt besser.“ Es ging ihm um die Schönheit der Liturgie, jenes Wesensmerkmal, das als Türöffner zur anderen Wirklichkeit, jener der Chöre der Engel, fungiert. Das Buch zu seinem Gedenken dient deshalb nicht nur der Erinnerung an Georg Ratzinger, es mahnt auch dazu, das, was er vorgelebt hat, weiterzutragen, um dorthin zu gelangen, wo er nun zu Hause sein darf.
Georg Gänswein, Christian Schaller (Hg.): Ein Priester im Dienst der Musica Sacra. Zum Gedenken an Domkapellmeister Georg Ratzinger. Schnell und Steiner, Regensburg, 2020, 136 Seiten, ISBN 978-3-7954-3611-7, EUR 18,–
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